Geheime Aufzeichnungen eines Volljuristen
Liebes Tagebuch,
damals bei uns im Osten, in meiner Kindheit in den Achtzigern, war es völlig normal, nicht nur einen Lieblings-Fußballverein zu haben, sondern gleich zwei. Ich glaube sogar, dass jeder in meinem Umfeld, der sich für Fußball interessierte, zwei Lieblingsvereine hatte: einen „von uns“ und einen „von drüben“. Es galt als völlig ausgeschlossen, dass sich der favorisierte Ost- und der favorisierte West-Verein jemals in die Quere kommen könnten, außer vielleicht ganz ausnahmsweise bei Europapokal-Spielen, aber da schieden unsere DDR-Clubs ja leider zumeist schon in den ersten Runden aus… Ansonsten konnte man absolut sicher sein, dass es niemals zu Loyalitätskonflikten kommen würde, denn dazu hätte es ja einer deutschen Wiedervereinigung bedurft, was aus damaliger Sicht aber vollkommen abwegig war…
Während also die Jungs in unserer Klasse (nur sehr vereinzelt gab es mal ein fußballbegeistertes Mädchen) ganz überwiegend „unseren“ FC Hansa Rostock unterstützten, war man gespalten hinsichtlich der Lieblingsclubs „von drüben“. Die eine Hälfte hielt zum uns geographisch ebenfalls naheliegenden Hamburger SV, die andere zu dessen großem Rivalen um die (Bundes-) Deutsche Meisterschaft, zum FC Bayern München. Anfangs hatte ich mich ausschließlich für „unseren“ DDR-Fußball interessiert, aber irgendwann ging das nicht mehr. „Bist du für HSV oder für Bayern?“, wurde ich immer öfter gefragt. Zum Beispiel, wenn beim Fußballspielen auf der Straße die HSV-Anhänger gegen die der Bayern spielten. Ich musste mich also positionieren. Aber mir gefiel die Vorstellung überhaupt nicht, wie alle anderen entweder für den HSV oder für Bayern zu sein. Gab es denn nichts anderes?!
Also sah ich mir in der jede Woche von mir ausgiebig studierten Zeitschrift Fußballwoche (kurz Fuwo) die Seite mit den ausländischen Tabellen genauer an und las dort unter „BRD“: „1. Hamburger SV, 2. Bayern München, 3. VfB Stuttgart…“. Naja, für Stuttgart wollte ich nun auch nicht gerade sein… Und weiter stand dort: „4. 1.FC Kaiserslautern“. Das klang irgendwie gut! Diesen Vereinsnamen merkte ich mir. Und bald hörte ich aus der (West-) Radio- und Fernsehberichterstattung, dass diese Mannschaft in ihren roten Trikots die „Teufel vom Betzenberg“ genannt wurde und überall für ihren unbändigen Kampfgeist berühmt war. Dann erfuhr ich auch noch, dass der Verteidiger Hans-Peter Briegel, der mir bei Länderspielen der westdeutschen Nationalmannschaft immer so imponierte, in Kaiserslautern spielte. Auch hatte ich aufgeschnappt, dass vor einigen Jahrzehnten der große Fritz Walter, ein offenbar besonders untadeliger Sportsmann, am Betzenberg gespielt hatte. Und als sich dann noch herausstellte, dass mein West-Onkel und meine West-Oma aus Rheinland-Pfalz, die uns manchmal besuchten, jeweils gar nicht weit entfernt von Kaiserslautern wohnten, da hatte ich meine Entscheidung getroffen. Von nun an war ich Kaiserslautern-Fan und hatte fortan ein Alleinstellungsmerkmal, auf das ich einen gewissen Stolz entwickelte. Niemals habe ich gehört, dass irgendjemand sonst in der DDR ein Fan des 1.FC Kaiserslautern war.
Allerdings musste ich mir im Laufe der folgenden Jahre manch hämischen Kommentar meiner Mitschüler anhören, denn während der HSV und Bayern München auch weiterhin zuverlässig die Meisterschaft unter sich ausspielten, war Kaiserslautern schon bald in mittlere bis hintere Regionen der Bundesliga-Tabelle abgesackt und blieb dort auch. Dies konnte meine Treue zu den „Roten Teufeln“ aber nicht erschüttern. Zumindest vorläufig nicht, denn als plötzlich die Mauer fiel und es bald darauf keinen separaten Ost- und Westfußball mehr gab, war der besagten Zweiteilung der eigenen Fußball-Liebe die Grundlage entzogen. Nun, wo der Ost- und der West-Lieblingsclub mit einem Mal in der Bundesliga aufeinandertrafen, musste man sich entscheiden, zu wem man hielt. Und dies fiel mir nicht schwer. Fortan schlug mein Fußball-Herz nur noch blau-weiß. Wie meine alte Liebe Kaiserslautern spielte, war mir schon bald nicht mehr so wichtig.
Daran hat sich auch in den letzten drei Dekaden nichts geändert. Dennoch berührt es mich schon noch ein wenig, dass den „Roten Teufeln“ nun immerhin der Wiederaufstieg in die Zweite Liga geglückt ist, wo sie noch dazu auf „meinen“ FC Hansa treffen werden. Eigentlich müsste ich aus Nostalgiegründen mal irgendwann nach Kaiserslautern fahren und dort ein Spiel auf dem Betzenberg besuchen. Und aktuell würde sich das mit dem 9 Euro-Ticket ja sogar anbieten. Wenn es nur nicht so weit wäre…
Dein Johannes