Zufallsfund im Test: „Männersachen“ von Roger Cicero
Thomas Claer
Wer ein tiefergehendes Interesse an Musik mitbringt, wird wohl irgendwann an den Punkt kommen, nur noch das zu hören, was er schon kennt und ihm ohnehin gefällt. Neues zu entdecken gibt es dann nur noch von den eigenen Lieblingen oder womöglich noch von denen, die so ähnlich klingen wie jene. Selbst wer sich nicht nur durch die eigene Musikbibliothek hört, sondern auch mal auf YouTube unterwegs ist, bekommt dann vom Algorithmus schon bald nur noch das vorgeschlagen, was mit dem eigenen Geschmack irgendwie kompatibel erscheint. Da kann es also schon sehr inspirierend und befreiend sein, plötzlich auch mal auf ganz andere Musik zu stoßen.
Zum Beispiel auf Roger Cicero (1970-2016), den vor sechs Jahren tragisch früh verstorbenen Pop- und Jazzmusiker aus Hamburg, ursprünglich sogar aus (West-) Berlin. Seine CD „Männersachen“ aus dem Jahr 2006 fand ich in einer „Zu verschenken“-Kiste in unserem Innenhof und nahm sie neugierig mit nach Hause. Ich erinnerte mich, seinen Namen schon öfter gehört zu haben, und machte mich auf Wikipedia über ihn schlau. Anscheinend hatte ich Glück, denn „Männersachen“ ist sein bekanntestes Album. Allerdings wohl auch ziemlich umstritten, denn zu jener Zeit wurde Cicero von der Frauenzeitschrift „Emma“ mit dem Negativpreis „Pascha des Monats“ ausgezeichnet. Ach, diese verbissenen Alt-Feministinnen, dachte ich. Die sind ja auch gegen Pornos (als ob es nur frauenfeindliche gäbe) und gegen alles, was Spaß macht im Leben. Wenn die was gegen ihn haben, dann ist er vielleicht sogar richtig gut?
Also frisch reingehört ins anderthalb Jahrzehnte alte Album. Die Musik wirkt glatt und gefällig, erinnert sehr an amerikanische Musicals aus den Vierziger- und Fünfzigerjahren. Das allein muss noch nicht schlecht sein. Selbst Björk hat mal einen richtig guten Song aus diesem Genre rausgebracht: „It’s oh so quiet“ (1995), wo sie im Video im pinken Kleid herumturnt und immer „Schschscht“ macht. Aber sie hat es dann auch bei einem solchen Lied belassen, und das aus gutem Grund. Cicero hingegen macht ein ganzes Album mit solcher Musik, und seine anderen acht Platten gehen, wenn es stimmt, was in Wikipedia steht, ebenfalls in diese Richtung. Das kann einem ziemlich schnell auf die Nerven gehen. Aber es gibt ja auch noch die deutschsprachigen Texte, und wenn die etwas taugen, dann lässt sich die Musik ja vielleicht doch ertragen…
Nur leider erweisen sich die Texte als mindestens so problematisch wie die Musik. Sie, die aus der Feder eines seinerzeit 36-jährigen Senkrechtstarters stammen, behandeln zumeist „auf ironische Weise den Geschlechterkampf“, wie es auf Wikipedia heißt. Exemplarisch tut dies vor allem der Single-Hit „Zieh die Schuhe aus“:
„Ich bin ein Sammler, ein Jäger
Ein guter Ernährer
Ein Schrauber, ein Dreher
Ein Ganz-Frühaufsteher
Ein Broker, ein Seller
Ein Intellektueller
Ein Helfer, ein Heiler
Im Grunde ein Geiler
Bin ein Schöpfer, ein Macher
Beschützer, Bewacher
Ein Forscher, ein Retter
Adretter Jetsetter
Gestählter Don Juan
Ein Bild von einem Mann
So steh′ ich vor dir und höre dann
Zieh die Schuh aus, bring den Müll raus
Pass aufs Kind auf und dann räum hier auf
Geh nicht spät aus, nicht wieder bis um eins
Ich verstehe, was du sagst, aber nicht, was du meinst“
Tja, ist das jetzt wirklich lustig oder doch eher traurig? Aus heutiger Sicht wirkt das jedenfalls ziemlich altbacken, aber das war es auch schon 2006 und ein paar Jahrzehnte früher eigentlich auch schon. Dass das lyrische Ich überhaupt aufgefordert werden muss zu solchen Selbstverständlichkeiten und dann immer noch nicht versteht, worum es geht, lässt wirklich staunen, dass es offenbar ein weibliches Wesen gegeben haben muss, das sich auf jemanden mit einer solchen Attitüde zumindest vorübergehend eingelassen hat. Den „Pascha des Monats“ hat Roger Cicero sich damit mehr als verdient. „Emma“ hat mit dieser Auszeichnung also vollkommen richtig gelegen, zumal diese Macho-Grundhaltung sich auch durch die weiteren Songtexte auf diesem Album zieht („Kein Mann für eine Frau“, „Schieß mich doch zum Mond“). Einzige immerhin erwähnenswerte Ausnahme hiervon ist die Zeile „Ich kann kochen, bügeln, stricken“ in einem der folgenden Lieder. Aber sie allein kann am verheerenden Gesamteindruck dann auch nichts mehr ändern. Kurz gesagt kann ich Roger Ciceros „Männersachen“ also nicht viel abgewinnen und habe die CD daher in unserer nahegelegenen Bücherbox abgelegt, wo sie ganz schnell einen neuen Besitzer gefunden hat. Das Urteil lautet somit: nicht empfehlenswert.
Roger Cicero
Männersachen
Heinrich & De Wall / Sony Music 2006
ASIN: B01ISQGKA6