Nach England und zurück

Sebastian Haffner: Geschichte eines Juristen (2. Teil)
Jochen Barte

Der Entschluss, nach England zu emigrieren, ist Haffner sehr schwergefallen. Da Haffner die Nazis ästhetisch und ideologisch ablehnte, hatte er sich noch in Deutschland auf eine journalistische Nischenexistenz verlegt. Bis zu seiner Flucht im Jahr 1938 schreibt Haffner vorwiegend unpolitische Feuilletons, wobei er ein buntes Potpourri der unterschiedlichsten alltäglichen Themen und Fragestellungen bedient. Bereits hier zeigt sich seine stilistische Brillanz. Er beherrscht die kleine Form in allen Tonlagen virtuos. In seinen Beiträgen beweist er immer wieder aufs Neue, dass er, aufgrund einer fein differenzierten intellektuellen und psychologischen Sensorik, in der Lage ist, auch alltägliche Gegebenheiten in eine besondere individuelle Perspektive zu setzen. Das Außergewöhnliche der Haffner‘schen Prosa, die Fähigkeit zu artikulieren, was andere nicht sehen oder gesehen haben und die seine späteren Arbeiten so bekannt und mitunter auch umstritten machen sollte, ist hier schon erkennbar. Gelegentlich äußert er sich zu juristischen Fragestellungen. So wenn er beispielsweise für das System der Laienrichter eintritt, da diese noch ein natürliches Gefühl für die Lebensdinge hätten und einen Vorgang nicht unnatürlich abstrakt in juristische Tatbestandsmerkmale aufgliederten, mithin das notwendige Korrelat zur „verkopften“ Perspektive der juristischen Profis darstellten. Haffner wäre sicher ein brillanter Jurist geworden. Das dürfte außer Frage stehen. Aber nachdem die Nazis den Rechtsstaat abgeschafft hatten, bot sich seinem juristischen Talent keine Entfaltungsmöglichkeit mehr und als Journalist war sein Betätigungsfeld im Dritten Reich eingeschränkt. Der Schritt zur Emigration nach England war deshalb zwangsläufig. Er lief folgendermaßen ab: 1938 lässt sich Haffner zur Erledigung eines Presseauftrages nach England schicken und beantragt mit Verweis auf die bestehende Verlobung mit seiner jüdischen Freundin Erika Landry politisches Asyl. Um seine Verwandten in Deutschland nicht zu gefährden, gibt er sich als Hommage an Johann Sebastian Bach und an zwei Werke Mozarts das Pseudonym Sebastian Haffner. Er versucht als Journalist bei einer deutschen Emigrantenzeitung Fuß zu fassen. In den ersten Jahren kann er für sich und seine junge Familie kaum den Lebensunterhalt verdienen. Dann wird der Verleger David Astor auf sein Talent aufmerksam und holt ihn zum Observer, einer der damals einflussreichsten englischen Zeitungen. Haffner kann sich etablieren. Zudem ist sein Versuch, den Engländern mit der Arbeit Germany: Jekyll & Hyde, einer soziologischen Analyse des NS-Systems, Deutschland zu erklären, erfolgreich. Das Buch wird ein Bestseller. 1948 nimmt Haffner die englische Staatsbürgerschaft an.

Rückkehr nach Deutschland
Das Thema Deutschland und seine politische Situation lässt Haffner auch nach dem Krieg nicht los.1954 kehrt er als Korrespondent des Observer nach Deutschland zurück. In Deutschland wird er in der Folge als regelmäßiger Gast in Werner Höfers Internationalem Frühschoppen schnell einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Als es über Meinungsverschiedenheiten in der Berlinfrage zum Bruch mit dem Observer kommt, verdingt sich Haffner wieder als Journalist bei deutschen Zeitungen. U.a. betreut er von 1963  bis 1975 die wöchentliche Kolumne im Stern, in der er sich zu aktuellen Fragen des Zeitgeschehens äußert. Haffner profiliert sich hier als unabhängiger Querdenker, der sich in kein politisches Raster zwängen lässt: So bezweifelt er beispielsweise die Eignung der UNO zur Friedenssicherung und stellt der Westintegrationspolitik Adenauers ein negatives Zeugnis aus, da sie in Verbindung mit der diplomatischen Nichtanerkennung der DDR die Möglichkeit einer Wiedervereinigung Deutschlands preisgebe. Narzisstisch manieriertes Querdenkertum wird man ihm – selbst in den Extrempositionen -, die er mitunter vertrat, hierbei wie auch sonst kaum vorwerfen können. Denn Haffner argumentiert immer als engagierter Demokrat mit Blick auf die Rechtsstaatlichkeit. Seine Urteile und Analysen sind durchweg differenziert, wohlbegründet und um begriffliche Genauigkeit bemüht – Haffners juristische Ausbildung wirkt nach.
Klarheit und Prägnanz charakterisieren überdies seine vielfältigen Buchpublikatio-nen. Hier seien besonders die Anmerkungen zu Hitler hervorgehoben. Haffner bemüht sich darin mit psychologischem Scharfblick und argumentativer Stringenz einerseits um Objektivität in Bezug auf die „Leistungen“ Hitlers, andererseits expliziert er Hitlers Biographie vor dem Hintergrund der inhärenten Psychopathologien eines Massenmörders und gelangt so zu plausiblen Deutungen, die in der historischen Forschung ein breites Echo gefunden haben.
Als Haffner 1999 in Berlin stirbt, hinterlässt er seinen Landsleuten (er hatte 1978 wieder die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen) ein äußerst umfangreiches publizistisches Oeuvre, das in vielen Fällen noch auf seine Aufarbeitung durch die historische Forschung wartet, und dessen analytische Kraft bis heute kaum an Wirkung verloren hat.

Quellen:
Sebastian Haffner: Anmerkungen zu Hitler, München 1978.
Sebastian Haffner: Sebastian Haffner zur Zeitgeschichte, München 1982.
Jürgen Peter Schmied (Hrsg.): Sebastian Haffner. Das Leben der Fußgänger. Feuilletons 1933-1938, München 2004.
Daniel Kiecol: Haffner für Eilige, Berlin 2002.

Veröffentlicht von on Jul 5th, 2010 und gespeichert unter DRUM HERUM, RECHT HISTORISCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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