Scheiben Spezial: Zum 80. Geburtstag von Reinhard Mey
Thomas Claer
Neulich habe ich nach langer Zeit mal wieder den “Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars” gehört, den satirischen Song des Berliner Liedermachers Reinhard Mey aus dem Jahr 1977, der darin in sieben Strophen die deutsche Bürokratie treffsicher auf den Punkt bringt und zugleich durch den Kakao zieht. Auf seinem langen Weg zum begehrten Antragsformular kämpft sich das lyrische Ich tapfer durch den Behördendschungel, trifft dort auf durchweg freundliche und hilfsbereite Amtsträger (insofern ist das Lied wohl eher noch beschönigend), die auch im Rahmen ihrer Zuständigkeiten ihr Möglichstes tun. Doch ist in diesem Wust von Unübersichtlichkeit und Ineffizienz leider kein Vorankommen möglich, und am Ende sorgt nur ein grotesker Zufallsfund für das nicht mehr für möglich gehaltene Erfolgserlebnis. Erst in der vorletzten Strophe gerät der Ich-Erzähler, der bis dahin alles geduldig über sich ergehen lässt, aus der Fassung… Es ist so witzig. Man kann sich immer wieder aufs Neue darüber amüsieren, egal wie oft man es schon gehört hat. Gäbe es ein Ranking der lustigsten Lieder aller Zeiten, dann stünde dieses Lied, jedenfalls wenn es nach mir ginge, unangefochten an erster Stelle (gefolgt von Torfrocks Blasphemie-Klassiker “Rollos Taufe” und dem “Sonnenschein-Song” aus der Sesamstraße).
Natürlich ist der “Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars” auch ein Zeitdokument. Ja, genauso war das damals in den Siebzigern:
„Tja“, sagte der Herr am Schreibtisch, „alles, was Sie wollen, nur
Ich bin hier Vertretung, der Sachbearbeiter ist zur Kur
Allenfalls könnte ich Ihnen, wenn Ihnen das etwas nützt
Die Broschüre überlassen, ,Wie man sich vor Karies schützt’”
Die Sozialdemokratie hatte gesiegt. Im Mittelpunkt stand nun der arbeitende Mensch, dem man allerhand Privilegien angedeihen ließ. So etwas wie Kundenfreundlichkeit hingegen war noch nicht erfunden:
“… In die Abwertungsabteilung für den Formularausschuss.
Bloß, beeil’n Se sich ein bisschen, denn um zwei Uhr ist da Schluss”
…
“Und die Nebendienststelle, die sonst Härtefälle betreut,
Ist seit elf Uhr zu, die feiern da ein Jubiläum heut‘
Frau Schlibrowski ist auf Urlaub, tja, da bleibt Ihnen wohl nur
Es im Neubau zu probier’n, vielleicht hat da die Registratur…”
Überhaupt tritt man dem Musiker und großen Textdichter Reihard Mey wohl nicht zu nahe, wenn man feststellt, dass er seine beste Zeit in den besagten Siebzigern hatte. Wohl alle seine Lieder, an die man sich heute noch erinnert, stammen aus jenem Jahrzehnt: Vom heute wieder sehr aktuellen “Ich bin Klempner von Beruf” über die wirklich großartige “Ballade vom Pfeifer” bis zu “Über den Wolken”, seinem größten “Hit”, ohne den auch nach fast einem halben Jahrhundert kaum eine Schlagerparty auskommt. Als dieses Lied geschrieben wurde, war das Fliegen im Flugzeug noch keine schambehaftete Klima-Sauerei, sondern ein für die breite Masse unbezahlbarer und grenzenlose Freiheit verheißender romantischer Traum:
“In den Pfützen schwimmt Benzin
Schillernd wie ein Regenbogen
Wolken spiegeln sich darin
Ich wär gern mitgeflogen.”
Am Mittwoch letzter Woche hat Reinhard Mey seinen 80. Geburtstag begangen.