Und schuld daran war nur die SPD

Klassenkampf am Abendbrotstisch: Vor 50 Jahren hatte die Serie “Ein Herz und eine Seele” TV-Premiere 

Thomas Claer 

Vor ein paar Jahren fragte mich meine türkische Nachhilfeschülerin, was eigentlich meine Lieblingsserie sei. Meine Antwort war, dass ich mich damit nicht auskenne und gar keine Serien gucke. Aber meine Schülerin insistierte: “Wie, Sie gucken keine Serien?! Jeder guckt Serien!!” Und dann fiel mir ein, dass ich ja eigentlich doch eine Lieblingsserie habe. Die ist nur mittlerweile 50 Jahre alt und für die heutige junge Generation begreiflicherweise nicht mehr besonders relevant. Doch zählt “Ein Herz und eine Serie” aus der Feder von Wolfgang Menge bis heute unbestritten zu den absoluten Sternstunden deutscher TV-Unterhaltung.

Natürlich war das damals Zeitgeist pur: Die Jahre nach 1968. In den (westdeutschen) Familien, am kleinbürgerlichen Abendbrotstisch prallten nicht selten sehr entgegengesetzte Weltsichten aufeinander. Und besonders schön ließ sich das illustrieren, wenn zwei Paare, die zugleich stellvertretend für ihre Generationen standen (damals hatte dieser notorisch unscharfe Begriff noch seine Berechtigung durch unabweisbare Evidenz) unter demselben Dach wohnten, genauer gesagt in einem Reihenhaus im Ruhrgebiet: der Büroangestellte Alfred Tetzlaff (Heinz Schubert) und seine etwas einfältige Gattin Else (Elisabeth Wiedemann), deren Tochter Rita (Hildegard Krekel) und der aufmüpfige Schwiegersohn Michi (Diether Krebs). “Ekel” Alfred verkörperte dabei den nur mühsam an die bundesrepublikanischen Verhältnisse angepassten altdeutschen autoritären Obrigkeitsgeist, konservativ und deutschnational bis auf die Knochen. Schwiegersohn Michi hingegen, Willy Brandt-Anhänger und SPD-Mitglied, stand gewissermaßen für die neue Zeit.

Wer heute eine Spaltung der Gesellschaft beklagt, der sollte sich einmal diese Sitcom-Serie der ersten Stunde zu Gemüte führen. Mit welch schweren Geschützen damals verbal aufeinander gefeuert wurde… Es war aber auch unglaublich witzig, besonders wenn “Ekel” Alfred loslegte und seinem Schwiegersohn die Leviten las: “Ihr habt doch sogar extra eine Partei gegründet, um den anständigen Bürgern das Geld aus der Tasche zu ziehen!”, befand er hinsichtlich der auch damals gerade heftig grassierenden Inflation, für die er natürlich “die Sozis” verantwortlich machte. Getreu nach der seinerzeit auch von Rudi Carrell besungenen Maxime: “Schuld daran ist nur die SPD”.

Seine eher nicht so kluge Ehefrau Else bemerkte aber immerhin sofort, wenn ihr Mann einmal ausnahmsweise einen SPD-Politiker lobte, nämlich den schneidigen früheren Wehrmachts-Offizier Helmut Schmidt, und am damaligen Oppositionsführer Rainer Barzel (CDU) herummäkelte. Wofür sich Alfred dann mit den Worten rechtfertigte: “Dis is Dialektik, dis verstehst du nich, du dusselige Kuh.” Und über seine Nachbarin Frau Suhrbier urteilte er: “Ist Hausbesitzerin und wählt SPD. Die fällt ihrer eigenen Klasse in den Rücken.”

Eigentlich sollten doch, so denkt man sich, auch die heutigen bewegten Zeiten reichlich Stoff für eine lustige politische Familienserie ähnlicher Art liefern, aber bisher ist, zumindest nach meiner Kenntnis, noch nichts Vergleichbares entstanden. Warum eigentlich nicht?

Veröffentlicht von on Jan 16th, 2023 und gespeichert unter DRUM HERUM, RECHT HISTORISCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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