UIrike Herrmann und Jens Kersten bringen herausfordernde Beiträge zu Kapitalismus und Grundgesetz
Matthias Wiemers
Die taz-Journalistin Ulrike Herrmann schreibt seit Jahren gut lesbare Bücher zu Wirtschaftsthemen – was vielleicht daran liegt, dass sie gar keine studierte Ökonomin, sondern Bankkauffrau, Philosophin und Historikerin ist. Schon am Schluss ihres vorherigen Buchs “Deutschland – ein Wirtschaftsmärchen”, in dem einmal mehr mit der Traumfigur Ludwig Erhard aufgeräumt wird, finden sich am Ende Zweifel an der Tragbarkeit der ökologischen Folgen des Kapitalismus. Nunmehr ruft Herrmann „Das Ende des Kapitalismus“ aus. Der Untertitel des Werks lautet: „Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind und wie wir in Zukunft leben werden“, und es ist in drei Teile gegliedert.
Im ersten Teil erzählt die Autorin – ähnlich wie in ihrem Werk „Der Sieg des Kapitals” noch einmal eine kurze Geschichte des Kapitalismus und bekennt sich darin durchaus zu diesem. Dabei wird hier besonders die Bedeutung der fossilen Energierohstoffe herausgearbeitet. Am Ende wird der Preis des Wohlstands darin gesehen, dass die Zerstörung der Welt der Preis des Wohlstands ist. Auf den Punkt gebracht: „Diese fossilen Reserven müssen im Boden bleiben und dürften nicht verfeuert werden, wenn die Menschheit geordnet überleben will.“ (S. 97) Dem ist nichts hinzuzufügen, möchte man sagen.
Der zweite Abschnitt ist dem Thema des „grünen Wachstums“ gewidmet, das Hermann für eine Illusion hält. In diesem Teil mustert die Autorin die verschiedenen Vorschläge und Ideen für technische Lösungen durch wie CCS, Atomenergie, aber auch Sonne und Wind, die nach dem Nachweis Hermanns keineswegs „billige“ Energien sind, Wasserstoff, E-Mobilität, Neubau von Gebäuden, Homeoffice etc. etc. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass es kein grünes Wachstum geben kann sondern allenfalls grünes Schrumpfen. Denn ein rein qualitatives Wachstum existiert nach Hermann nicht (S. 197)
Dem Rezensenten fällt da auch wieder ein Zitat von Niki Lauda selig ein: „Der beste Umweltschutz ist die Technik“. Sich darauf zu verlassen, dies wird bei Ulrike Hermann deutlich, ist in der Tat eine Illusion – auch wenn man sicherlich technische Möglichkeiten nutzen muss (ähnlich Hermann, etwa S. 117). Aber fossile Rohstoffe müssen trotzdem im Boden bleiben – dies ist die Erkenntnis dieses zweiten Abschnitts.
Der dritte Abschnitt trägt noch einmal den Titel des Gesamtwerks und beginnt mit einem Kapitel über „grünes Schrumpfen“. Hermann zeigt hier auf, wie illusorisch es ist, dieses Schrumpfen dezentral durchzuführen, etwa indem einzelne Branchen wie die Autoindustrie radikal zurückgeführt werden. „Chaotisches Schrumpfen“ dürfe man sich nicht friedlich vorstellen – und Hermann verweise auf die Erfahrungen von Weltwirtschaftskrise und Weimarer Republik (S. 207). Ein Zitat: „Eigentlich wären die Volkswirte gefragt, Konzepte zu entwickeln, wie sich eine klimaneutrale Welt ansteuern lässt. Doch von den Ökonomen kommt bisher wenig. Das ist bedauerlich, aber kein Zufall.“ (S. 215). Hermann erläutert sodann das Versagen der Ökonomen in Fragen von Klimawandel und Energiewende und stellt dar, dass es nichts nützt, allein auf preisliche Anreize zu setzen. Auch wird deutlich, dass die Probleme mit Rebound-Effekten nicht überwindbar sind (Hier möchte man hinzufügen, dass es mit Sicherheit keine dümmere „Lösung“ des Problems ökologischer Mobilität gibt als eine Reise-Flatrate- die bei 9 Euro im Monat liegt. Etwas Dümmeres hat die Welt noch nicht gesehen!)
Die Autorin leitet nach der Beschreibung der vielen bislang ungelösten Probleme um auf ein aus ihrer Sicht historisch erprobtes Modell der Wirtschaftslenkung, nämlich auf die britische Kriegsökonomie seit dem Jahre 1939. Hier muss man sagen, dass die in Kapitel 18 ausgebreitete Folie der britischen Kriegswirtschaft durchaus bedenkenswert ist. Denn wir Hermann schon am Ende von Kapitel 17 schreibt: „Nur Verzicht sichert das Überleben – wie im Krieg“ (S. 228). Ein ganz entscheidender Punkt scheint mir am britischen Kriegsbeispiel zu sein, dass dort die ärmsten Schichten anscheinend besser versorgt waren als in Friedenszeiten und zugleich auch Reiche starke Beschränkungen hinnehmen mussten. Solidarität kann nämlich nur begrenzt angeordnet werden. Es braucht legitimierendes Verständnis und das Gefühl, dass man nur gemeinsam aus einer Misere herauskommen kann. Hermann meint, wenn nach diesem historischen Vorbild etwa der deutsche Wohlstand um die Hälfte zurückginge, wäre man noch auf dem Stand von 1978.
Der Rezensent, der die Weiterverfolgung dieser Gedanken empfiehlt, kann sich an dieses Jahr noch gut erinnern. Er war klein, arm, aber er hatte alles, was er wirklich brauchte.
Von der Ökonomie zum Verfassungsrecht. Jens Kersten ist ein innovativer und produktiver Staatsrechtslehrer der LMU München. Mit seinem neuesten Buch „Das ökologische Grundgesetz“ knüpft er an Gedanken an, die schon andere hatten – wie etwa Michael Kloepfer zum „Umweltstaat“, Christian Calliess zu „Rechtsstaat und Umweltstaat“ oder Rudolf Steinberg zum „ökologischen Verfassungsstaat“. Aber der Band geht ganz systematisch vor, indem er das gesamte Grundgesetz „ökologisiert“ und praktisch zahlreiche Vorschriften des geschriebenen Verfassungstextes um eine ökologische Komponente erweitert. Dieser Ansatz ist neu, und natürlich kann sich Kersten auf den Klimabeschluss des BVerfG von vor zwei Jahren berufen, der bekanntlich den Grundrechten eine zeitliche Dimension verliehen hat und dessen Konsequenzen für die gesamte Rechtsordnung noch nicht vollständig absehbar sind. Diese Entscheidung steht im Zentrum des ersten Abschnitts bei Kersten, der „Vorüberlegungen“ (I). Hier wird auch das noch neue Thema der „Weltrettung durch Gerichtsbeschlüsse?“ diskutiert. Das Staatsziel Umwelt- und Tierschutz wird als „veraltetes Verfassungsrecht“ bezeichnet und ihm wird kein zweiter Absatz, sondern ein nachfolgender Artikel 20b GG an die Seite gestellt, der der Generationengerechtigkeit gewidmet ist. Kersten ist offenbar nicht der Meinung, dass Art. 20a das Nachhaltigkeitsprinzip bereits beinhalte, denn er schlägt für 20 b vor: „Der Staat hat in seinem Handeln das Prinzip der Nachhaltigkeit zu beachten und die Interessen künftiger Generationen zu schützen.“ Am Ende wird ein ökologisches Grundgesetz mit seinen Einzelelementen in Aussicht gestellt. Und dieses wird sodann in den nächsten Abschnitten des Bandes durchdekliniert: In der Präambel (II.) wird die Bezugnahme auf Gott und die Menschen um die Natur ergänzt, es werden „Die ökologischen Rechte“ (III.) präsentiert, die bereits mit einer Ergänzung des Artikels 1 Abs. 2 GG um eine Verantwortung für die Natur ergänzt wird. Bei der Ausübung der allgemeinen Handlungsfreiheit muss der Bürger demnächst zusätzlich „das ökologische Wohl der Allgemeinheit“ achten, und in Art. 2 Abs. 2 werden „eine intakte Umwelt und die Erhaltung seiner natürlichen Lebensgrundlagen“ dem Menschen als Anspruch zugewiesen. Ein „Recht auf ökologische Informationen“ wird als neuer Artikel 2 a GG eingefügt, das nicht nur ein subjektives Grundrecht, sondern auch eine aktive Informationspflicht des Staates beinhaltet. Nicht einmal Artikel 9 GG wird ausgespart, indem das Recht zur Wahrung sozialer und ökologischer Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden gewährleistet wird. Das Eigentum wird selbstverständlich auch ökologiepflichtig. Und so weiter, und so weiter. Kersten stellt jedem Kapitel eine entsprechende Ergänzung des Verfassungstexts voran und erläutert diesen sodann. Hierbei wird etwa auch der Bundespräsident keineswegs ausgespart, der für seine ökologischen Pflichten einen eigenen Artikel 59a erhält. Und am Ende – als Kapitel X. – wird „Der ökologische Liberalismus“ vorstellt. Natürlich fragt man sich, ob der zwischen den Zeilen des ökologischen Grundgesetzes versteckte „totale Staat“ noch etwas mit Liberalismus zu tun haben kann. Doch Kersten glaubt, sich auf John Stuart Mill berufen zu können, der „mit ganzem Herzen“ gehofft habe, „daß man schon viel früher, als die Notwendigkeit dazu treibt, mit einem stationären Zustande sich zufrieden geben wird.“ Danach hätte schon Mill für ein Ende des Kapitalismus qua Wachstum plädiert.
Kersten entwickelt Mills Gedanken so weiter: „Im Anthropozän hat die Natur selbst diese liberale Diagnose noch weiter zugespitzt: Wenn Wirtschaft und Eigentum auf einem ökologischen Verwüstungswachstum bestehen, werden sie in der Erderhitzung schlicht weggeschmolzen oder im Meeresanstieg schlicht untergehen. (…) Deswegen muss man die Alternative, vor der wir stehen, ganz klar formulieren: Entweder die Wirtschaft wächst ökologisch, oder es wird keine Wirtschaft und kein Wachstum, sondern nur noch Verwüstung und Elend geben.“ (S. 196 a. E.).
Wir sehen also, dass Kersten noch am (grünen) Wachstum festhält, aber seine Ergänzungen des Verfassungstextes gehen inhaltlich mindestens so weit wie die Überlegungen Ulrike Hermanns
Die Arbeit ist anregend und verdienstvoll, allerdings eine Utopie. Denn vorausgesetzt, die vorgeschlagenen Änderungen am Verfassungstext wären politisch überhaupt durchsetzbar, so würde die Republik damit in einen derartigen Zustand der Lähmung verfallen, dass das Ergebnis möglicherweise noch gravierende Veränderungen zeitigte als das zuvor vorgestellte Modell von Ulrike Hermann. Denn sämtlichen staatlichen Stellen würden so viele neue Pflichten auferlegt, dass die Alternative nur Stillstand oder (weiterer) Rechtsbruch wäre.
Beide Bücher sind dennoch absolut lesenswert. Da aber auch „Grüne“ sich regelmäßig lustig machen über solche Vorstellungen, wird es leider weitere Katastrophen wie im Ahrtal brauchen, bis sich etwas in Richtung Klimaneutralität verändert, das nicht sogleich von Rebound-Effekten wieder aufgefangen wird. Eine bittere Erkenntnis.
Ulrike Herrmann
Das Ende des Kapitalismus
Kiepenheuer & Witsch 2022
352 Seiten; 24,00 Euro
ISBN-10: 3462002554
Jens Kersten
Das ökologische Grundgesetz
C.H. Beck 2022
241 Seiten; 34,95 Euro
ISBN 978-3-406-79545-9