Vor 70 Jahren schlossen sich in Ostthüringen Studenten und Schüler zum „Eisenberger Kreis“ zusammen, um Widerstand gegen kommunistisches Unrecht zu leisten
Benedikt Vallendar
Sanierte Fassaden, gepflegte Grünanlagen und eine gepflasterte Innenstadt. Idylle pur, so der erste Eindruck von Eisenberg, einer Kleinstadt in Ostthüringen, unweit von Weimar und Jena, den Stätten deutscher Klassik. Was nur wenig bekannt ist: Eisenberg war in den 1950er Jahren auch einer jener Orte, an denen SED-gesteuerte Behörden Unrecht an Jugendlichen begingen; an Studenten und Schülern, die sich für Freiheit und Demokratie eingesetzt und früh durchschaut hatten, dass der Kommunismus in den Farben von Marx und Lenin ein einziges Menschheitsverbrechen war, was manche Intellektuelle bis heute nicht wahrhaben möchten. Die jungen Leute aus Eisenberg nannten sich „Eisenberger Kreis“ und hatten als Vorbild die Münchner „Weiße Rose“ rund um die Widerstandskämpfer Sophie und Hans Scholl, die 1943 für ein paar Anti-Hitler-Plakate hingerichtet worden waren. „In Eisenberg formierte sich 1953 Widerstand gegen die Unterdrückung christlicher Gemeinden und Zirkel durch die SED“, erklärt der Historiker Wolfgang Blaschke von der FU Berlin. Hintergrund war die von der Parteipropaganda seinerzeit lancierte Behauptung, Christen seien „Agenten des Westens“ und damit verlängerter Arm der „USA und des westdeutschen Imperialismus.“
Schautribunale und Stimmungsmacher
Ein gleichlautendes Pamphlet, das DDR-weit an Hauswänden hing und zudem in der zensierten Presse erschien, war 1953 Höhepunkt einer staatlichen Kampagne gewesen, die bereits in den Jahren zuvor begonnen hatte, nachdem die Junge Gemeinde, will sagen: die Jugendarbeit der evangelischen Kirche in der DDR ins Visier der Einheitspartei geraten war. Rund 3.000 Schüler und Lehrer, die sich zur Jungen Gemeinde bekannt und keine offizielle Austrittserklärung unterzeichnet hatten, wurden in Folge von Oberschulen, in die die Gymnasien in der Ostzone seit 1946 zwangsumbenannt worden waren, verwiesen; viele Lehrer siedelten in den Westen über und unterrichteten dort bis zur Pensionierung. Thomas Ammer, 1937 geborener Zeitzeuge und Aktivist gegen das SED-Unrecht, erinnert sich, wie 1953 an der heute nicht mehr existenten Eisenberger Oberschule in der Rosa-Luxemburg-Straße ein regelrechtes Tribunal gegen drei systemunkonforme Schüler veranstaltet wurde: „Ich war damals FDJ-Sekretär der zehnten Klasse und habe in dieser Eigenschaft an der Schülervollversammlung, die die Schulleitung einberufen hatte teilgenommen“ sagt er. Die Stimmung im Land war aufgeheizt, wenige Monate vor dem landesweiten Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953. Viele unbekannte Funktionäre waren zuvor als kommunistische Stimmungsmacher in Eisenberg aufgetaucht, wobei mit dem Rauswurf aus der FDJ auch die Relegierung von der Schule erfolgte. „In der Vollversammlung habe ich dem Antrag widersprochen, einige andere auch, was aber viel zu wenige waren, um der Stimmungsmache durch SED-Claqueure entgegenzuwirken“, sagt Ammer.
Gleichschaltung und Verbote
Mit Übertragung des stalinistischen Systems auf die seit Kriegsende sowjetisch besetzte Zone und die spätere DDR fielen nichtkommunistische Parteien und Organisationen flächendeckend der Gleichschaltung anheim, was im Klartext hieß: Sie mussten ihre Arbeit einstellen, sich den neuen kommunistischen Organisationen anschließen oder ganz aus der Öffentlichkeit verschwinden. Bereits am 31. Juli 1945 hatte die sowjetische Militäradministration (SMAD) mit der Zulassung antifaschistischer Jugendkomitees alle anderen Jugendorganisationen verboten.
In der evangelischen Kirche der DDR entstand daher keine eigenständige Organisation wie etwa der CVJM (Christlicher Verein Junger Menschen) in Westdeutschland, was zur Folge hatte, dass kirchliche Jugendarbeit nur noch singulär in den einzelnen Gemeinden einen Raum fand. Die SED hatte leichtes Spiel, als es darum ging, junge Leute von der Kirche fernzuhalten. „Dividat et imperat, teile und herrsche, die alte römische Militärweisheit wurde für die Kommunisten zur Grundstrategie im Kampf gegen Christen und Andersdenkende“, sagt Historiker Wolfgang Blaschke.
Aktiver Widerstand
Der Schulverweis empörte einige Eisenberger Studenten und Schüler jedoch so sehr, dass sie sich zum Widerstand entschlossen. Einige Dutzend von ihnen begannen nachts heimlich SED-Symbole zu entfernen und antikommunistische Parolen an Häuserwände zu malen. Auch nach dem gescheiterten Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953 war die Gruppe um Thomas Ammer entschlossen, Zeichen gegen das SED-Unrecht zu setzen. Sie protestierte 1954 mit Aktionen gegen die „Volkskammerwahlen“, zu der nur Einheitslisten zugelassen waren und keine Auswahlmöglichkeit zwischen mehreren Parteien bestand. 1956 setzten die Mitglieder als Protest gegen die zunehmende Militarisierung in der DDR gar einen Schießstand der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) in Brand.
Thomas Ammer und die anderen aus der Gruppe waren von ihrem Auftrag derart überzeugt, dass sie jede Angst vor Entdeckung verdrängten. Und auch während ihres Studiums an der Universität Jena blieben die Mitglieder des „Eisenberger Kreises“, als der sie offiziell in die Geschichtsbücher eingegangen sind, aktiv. Sie forderten Demokratie, freie Wahlen und die Abschaffung des gesellschaftspolitischen Unterrichts als Pflichtfach. Erst 1957 gelang es der DDR-Staatssicherheit, die Gruppe zu infiltrieren. Im April 1958 wurden die führenden Köpfe verhaftet, darunter auch politisch unliebsame Studenten der Universität Jena. Aktenfunde belegen, dass die Staatssicherheit noch bis Ende 1989 an der Gruppe „dran“ war, indem sie einzelne Mitglieder im Westen beschatten ließ.
Hohe Haftstrafen
Nach einem halben Jahr Untersuchungshaft in Gera erhielten 24 Mitglieder des Eisenberger Kreises vorab festgelegte Freiheitsstrafen zwischen viereinhalb und 15 Jahren; Thomas Ammer und sein Mitstreiter, der Physikstudent Peter Herrmann wurden nach sechs Jahren durch die Bundesrepublik freigekauft. Sie hatten sich verpflichten müssen, über ihre Haft in der berüchtigten Haftanstalt Bautzen II zu schweigen. Und bis zum Ende der DDR sollten dann noch 31 Jahre ins Land ziehen. Die kommunistische Diktatur war zwar im Herbst 1989 Geschichte, doch das Gedenken an den Eisenberger Kreis überdauerte die Zeit bis heute.
Fotos: BV