Die zweite Auflage des Lehrbuchs von Klaus Lange kann als Vermächtnis des Autors gelten
Matthias Wiemers
Der Gießener Staatsrechtelehrer Klaus Lange (1939 bis 2020), dessen akademischer Großvater Carl Schmitt und dessen akademischer Lehrer Werner Weber waren, hat in den Jahrzehnten seines Wirkens in Hessen eine besondere Stellung im Bereich des öffentlichen Rechts eigenommen – zeitlich versetzt durchaus vergleichbar mit seinerzeit Werner Weber in Göttingen (, zu dessen Zeiten freilich die Hochschulen und Professuren bei weitem nicht so zahlreich gewesen sind).
Lange, der lange Zeit auch Richter und zweifacher Präsident des Hessischen Staatsgerichtshofs gewesen ist, hat 2013, schon als Emeritus, das hier vorzustellende Werk zum „Kommunalrecht“ der Öffentlichkeit präsentiert, das er 2019 noch einmal wesentlich überarbeitet hat. Dieses gilt es nachfolgend vorzustellen.
Das Werk ist in insgesamt sieben Teile gegliedert, die teilweise aus mehreren Einzelkapiteln bestehen. Der Grundlagenteil 1 beginnt mit der Verfassungsgarantie gemeindlicher Selbstverwaltung
Hierbei wird sogleich unter Fußnote 1 deutlich, wie sich der Autor mit der ihm teilweise auch entgegenstehenden Literatur auseinandersetzt. Lange folgt aber der herrschenden Meinung, die in der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie nach Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG eine institutionelle Garantie erblickt. Ein schönes Zitat aus dem ersten Kapitel, das die Dynamik im Recht der kommunalen Selbstverwaltung gut wiedergibt, lautet. „Im Einzelnen wirft die institutionelle Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung schwierige Probleme auf, die sich zum großen Teil aus der Diskrepanz zwischen ihrer Formulierung und der gesellschaftlichen Realität ergeben.“ (S. 9)
Kapitel 2 zeigt „Die grundsätzliche Rechtsstellung der Gemeinden und ihrer Einwohner“, beginnend mit der Herausarbeitung der Konsequenzen des Körperschaftsstatus. Hier wird etwa auch die Aktualisierung des Textes in der zweiten Auflage deutlich, wo es zum Thema des Onlinezugangsgesetzes von 2017 heißt: „Dieses Gesetz dürfe auch die Kommunen in die Pflicht nehmen.“ (S. 79) Wie wahr! Im zweiten Abschnitt des Kapitels geht es um „Die Gemeinde im Spannungsfeld von Staat und Gesellschaft“. Bei Lange ist die Gemeinde konsequent vom Staat geschaffen, aber die unterscheidet sich durch die Staatsverwaltung durch staatliche Behörden „fundamental dadurch, dass in ihr die gesellschaftlichen Kräfte, nämlich die Gemeindebürger, einen ungleich größeren Einfluss haben und vor allem haben sollen als in staatlichen Behörden.“ (S. 95 f.), Auch Lange ordnet die Gemeinde der Exekutive zu, hält dies aber angesichts „ihrer auch legislatorischen Funktion“ aber für ergänzungsbedürftig. (S. 100 f. Daher kommt offenbar das in der Praxis von Kommunen und Kammern bis heute verbreitete Gerede von „Legislaturen“, wenn man in Wahrheit Wahlperioden meint. Lange kann sich hier aber auf frühe Rechtsprechung des BVerfG stützen, die freilich später nicht wiederholt wurde.)
Teil zwei des Bandes ist überschrieben mit „Gemeindeverfassungsrecht“ – ein Begriff, mit dem sich Studierende, die im ersten oder zweiten Semester die Grundrechte gehört haben und dann auch die Verfahrensarten vor dem BVerfG behandelt haben: Die kommunale Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 GG hat hiermit nichts zu tun. Dennoch ist es richtig, im Bereich des Kommunalrechts an dem Begriff des Gemeindeverfassungsrechts festzuhalten, weil man damit die Verhältnisse der kommunalen Organe zueinander gut darstellen kann und auch die unterschiedlichen „Gemeindeverfassungstypen“, wie es Klaus Lange in seinem gleichnamigen dritten Kapitel tut. Wohltuend ist es hier, dass Lange mit der überkommenen Begrifflichkeit aufräumt, die einerseits von monistischen, andererseits von dualistischen Kommunalverfassungstypen spricht. Richtig ist dann der Satz: „Ein formal klares Unterscheidungskriterium stellt hingegen die monokratische oder kollegiale Ausgestaltung des Verwaltungsorgans dar.“ (S. 109) Dies ist richtig, und Lange dürfte die Problematik der Hessischen Magistratsverfassung im Auge gehabt haben, die besonders augenscheinlich das Auseinanderfallen zwischen Mehrheit in der Kommunalvertretung und Person des direkt gewählten (Ober-)Bürgermeisters zeigt, dessen Kompetenzen dann wesentlich auf den Zuschnitt von Ressortzuständigkeiten beschränkt sind, während die Dezernenten von der Kommunalvertretung gewählt werden.
Kapitel 4 ist dann auch „Wahl, Rechtsstellung und Kompetenzen der Gemeindevertretung“ gewidmet, während Kapitel 5 speziell auf den einzelnen Gemeindevertreter schaut. Um die innere Struktur der Gemeindevertretung geht es im sechsten Kapitel über „Vorsitz der Gemeindevertretung, Fraktionen und Ausschüsse“. „Das Verfahren der Gemeindevertretung“ ist Gegenstand des Kapitels 7, bevor endlich Kapitel 8 „Das Verwaltungsorgan“ behandelt. Es folgt ein Kapitel (9) über „Besondere Formen der Bürgerbeteiligung an der kommunalen Selbstverwaltung“, das in den letzten Jahren zunehmende Bedeutung erlangt hat – auch wenn die kommunale Praxis oft deutlich mehr Erwartungen weckt, als sie am Ende erfüllen kann. Kapitel zehn ist dem Kommunalverfassungsstreit gewidmet, der selbstverständlich vor den Verwaltungsgerichten ausgetragen wird, aber wegen seiner Begrifflichkeit wiederum Assoziationen zum staatlichen Verfassungsrecht wecket.
Teil 3 des Bandes ist den gemeindlichen Aufgaben und Befugnisse gewidmet, die einem stetigen Wandel unterliegen, was bereits Kapitel 11 andeutet: „Selbstverwaltungsaufgaben, Auftragsangelegenheiten, Weisungsaufgaben, Aufgabenprivatisierung“. Gerade hier werden die einzelnen Länder durchaus in Gruppen zusammengefasst, allerdings unter Vermeidung von Begriffen wie monistisch und dualistisch. „Das Satzungsrecht der Gemeinde“ hat ein eigenes Kapitel (12), ebenso „Die gemeindlichen öffentlichen Einrichtungen“ (13). Umfangmäßig deutlich übertroffen werden diese von Kapitel 14 über „Die gemeindliche Wirtschaftstätigkeit“. Denn es ist ja keinesfalls nur so, dass Bürger in ihren Gemeinden ein höheres Maß an Mitbestimmung an der Willensbildung zukommt, sondern die Sorge um das Wohl und Wehe der Gemeindebürger äußert sich im Alltag keineswegs darin, dass der neue Personalausweis alle zehn Jahre besonders unkompliziert erlangt werden kann, sondern in der ubiquitären Betreuung durch die Gemeindewirtschaft, deren Wachstum keine Grenzen zu kennen scheint. Dass es sehr wohl Grenzen gibt, zeigt Klaus lange in seinem Kapitel,
Es ist konsequent, die Kapitel über „Gemeindefinanzierung und Gemeindehaushalt“ einem neuen, vierten Teil zuzuordnen, weil natürlich die Ausgabenseite des Haushalts mit der Einnahmenseite gespiegelt werden muss, aber gedanklich deutlich von ihr zu trennen. Kapitel 15 widmet sich daher der Finanzierung der Gemeinde. Dem schließt sich das „Gemeindehaushaltsrecht“ (Kapitel 16) an.
Teil 5 über „Die Aufsicht über die Gemeinden“ enthält nur ein Kapitel (17) über „Kommunalaufsicht, Fachaufsicht, Sonderaufsicht“, und in diesem Kapitel sind auch Fragen des Rechtsschutzes gegenüber Aufsichtsmaßnehmen mitbehandelt.
Der Titel des sechsten Teils ist mit dem des 18. Kapitels identisch: „Die Kreise“. Deren Finanzierung und das Haushaltsrecht sind im Kapitel gesondert behandelt.
Wiederum identischer Titel von Teil 7 und Kapitel 19: „Interkommunale Zusammenarbeit“. Auch dies ist ein Thema, das von zunehmender Bedeutung ist, um örtliche Ressourcen besser auszunutzen (und um weitere kommunale Gebietsreformen zu verhindern?).
Wie viele andere Lehrwerke des Kommunalrechts auch, behandelt Lange nicht die drei Stadtstaaten. Und in der Tat: Während sich die Kommunalverfassungen der Flächenländer in den letzten 3 Jahren deutlich einander angenähert haben und damit die Vermittlung des Kommunalrechts aus gesamtdeutscher Perspektive erleichtert haben, würden die drei Stadtstaaten die Darstellung wieder verkomplizieren. Die jüngste Wahlwiederholung in Berlin hat entsprechende Andeutungen gemacht.
Durch den Tod des Autors im August 2020 ist das Lehrbuch praktisch zu einem Vermächtnis Klaus Langes geworden. Im Bereich der in den letzten 30 Jahren vollzogenen Rechtsänderungen in Organisation und Steuerung des Kommunalwesens ist eine gewisse Ruhe eingetreten, nicht aber in Fragen der kommunalen Aufgabenwahrnehmung und auch der interkommunalen Zusammenarbeit – was im Vorwort zur 2. Auflage auch angedeutet wird. Die kommenden weiteren Entwicklungen aufzunehmen, wird Aufgabe eines anderen Autors sein. Hinweise auf bisherige Zuarbeit im Rahmen der Gießener Fakultät sind im Vorwort beider Auflagen gegeben. Die angesprochenen Personen und der Verlag sollten den Weg zueinander finden. Für die nächsten Jahre bildet aber sicher noch die vorliegende 2. Auflage den gesicherten Bestand des Kommunalrechts in Deutschland ab.
Klaus Lange – Kommunalrecht, Mohr Siebeck Verlag, 2. Auflage 2019, 1413 Seiten, 174 Euro, ISBN 978-3-16-156970-8.