Verlassen in Berlin

Element of Crime auf ihrem 15. Studio-Album “Morgens um vier”

Thomas Claer

Dass Element of Crime, die erklärten Lieblinge überwiegend großstädtischer Nachtmenschen, Melancholiker und Romantiker, sich zuletzt auf jeder neuen Platte noch etwas stärker als jeweils zuvor präsentierten, das konnte man so langsam fast schon beängstigend finden. Doch nun, im 39. Jahr ihrer Bandhistorie, ist dieser langjährige Trend gebrochen. Mit ihrem jüngst erschienenen neuen Album lassen sie, auf hohem Niveau zwar, aber doch unverkennbar, ein wenig nach. Aber auch wenn “Morgens um vier” nicht ganz mit dem Vorgänger “Schafe, Monster und Mäuse” von 2018 mithalten kann, so hält es für den geneigten Hörer doch genügend Höhenpunkte bereit, um ihm zumindest den diesjährigen bislang so nasskalten Frühling gebührend zu versüßen.

Überzeugen kann vor allem der Beginn. Das erkennbar in der Corona-Zeit entstandene “Unscharf mit Katze” ist ein mustergültiger EoC-Song erster Güte, der all das enthält, was diese Band so groß und bedeutsam gemacht hat: scheppernde Gitarrenriffs, wuchtige Trompeteneinschübe, Sven Regeners knarzig-angerauten Gesang und eine wie gewohnt ausgefeilte, hintersinnige Textdichtung. Doch gerade hier, bei den Texten, läuft es diesmal, wenn man das ganze Album betrachtet, weniger rund als zuletzt. Neben lyrischen Glanzleistungen (“Aus unsren Mündern kommen Schall und Rauch”) stehen mitunter wenig schlüssige Sprachbilder wie bereits im Eröffnungssong das von der unscharf aufgenommenen Katze und der Axt in den Händen, bei denen man sich in der Tat fragen muss, worauf sie hinauslaufen sollen. Dies gilt auch für manche Passage der anderen Songs, etwa den rätselhaften Refrain “Was mein ist, ist auch dein”. Nachvollziehbarer ist da schon das auf recht witzige Weise den Trivialautor Johannes Mario Simmel zitierende “Liebe ist nur ein Wort”. Sehr schön und stimmungsvoll geraten, sowohl textlich wie auch musikalisch, sind das Titel- und zugleich Schlussstück “Morgens um vier” sowie das gemeinsam mit dem Isolation-Berlin-Sänger Tobias Bamborschke eingesungene “Dann kommst du wieder”, das einen irgendwie an den mehr als dreißig Jahre alten “Weeping Song” von Nick Cave im Duett mit Blixa Bargeld erinnert.

Thematisch kreisen die Lieder auf bewährte Weise – und insofern dann doch ans Vorgängeralbum anknüpfend – auffällig oft um die Themenfelder liebeskrankes, verlassenes lyrisches Ich und Berlin, gerne auch beides miteinander verbindend wie in “Ohne Liebe geht es auch” und “Wieder Sonntag”, das endlich einmal der Flohmarktkultur unserer Hauptstadt ein verdientes Denkmal setzt. Was die Kompositionen auf dieser Platte angeht, so fallen zwar auch sie etwas hinter diejenigen auf den vorherigen Alben zurück, doch sind sie dabei nicht unbedingt schlechter als etwa auf “Immer da wo du bist bin ich nie” (2009) oder “Psycho” (1999). Kurzum, für die Liebhaber der Elements hat dieses Album, wenn es auch nicht gerade ihr bestes sein mag, durchaus eine Menge zu bieten. Das Urteil lautet: voll befriedigend (12 Punkte).

Element of Crime
Morgens um vier
Vertigo Berlin (Universal Music)
ASIN: B0BTNSM71K

Veröffentlicht von on Mai 1st, 2023 und gespeichert unter SCHEIBEN VOR GERICHT. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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