Geheime Aufzeichnungen eines Volljuristen
Liebes Tagebuch,
mit Nazivergleichen sollte man sich möglichst zurückhalten. Ganz besonders gilt das, wenn man selbst als Deutscher die Angehörigen anderer Staaten in eine solche Ecke stellt. (Und erst recht, wenn es sich noch dazu bei diesen um die Nachkommen derer handelt, die vor rund 80 Jahren unter dem deutschen Angriffskrieg zu leiden hatten.) Daher habe ich mich im vergangenen Jahr, kurz nach Beginn der russischen Aggression gegen die Ukraine, auch nur im Schutze der Anonymität dieser Kolumne dazu hinreißen lassen, das Putin-Regime als quasi faschistisch zu bezeichnen. Nun gut, es gibt einige Faschismus-Merkmale, die ihm abgehen, aber dafür jede Menge andere, die es signifikant und unverändert aufweist, weshalb ich bis heute auch nichts an meiner damaligen Einschätzung zurückzunehmen habe. Das aktuell aber vielleicht noch gefährlichere Problem ist jedoch, dass es inzwischen weltweit und selbst hierzulande eine ganze Reihe von demokratisch gewählten Politikern gibt, für die sich Nazi-Vergleiche regelrecht aufdrängen. Besonders unrühmlich in Erscheinung tritt hier gerade der Gott sei Dank vor zwei Jahren zumindest vorläufig abgewählte 45. US-Präsident, der weiterhin behauptet, er hätte die letzte Präsidentschaftswahl eigentlich gewonnen und wäre, wenn es mit rechten Dingen zuginge, noch an der Macht. (Wobei besonders schockierend daran der Umstand ist, dass angeblich 70 Prozent der Wähler seiner Partei ihm in dieser Einschätzung zustimmen.) Nun, da ihm wegen zahlreicher Ungeheuerlichkeiten, die er sich während seiner Präsidentschaft erlaubt hatte, endlich der Prozess bzw. gleich mehrere Prozesse gemacht werden, hat er das Vorgehen der amerikanischen Justiz gegen ihn mit den stalinistischen Schauprozessen der Dreißigerjahre verglichen…
Neulich habe ich noch einmal den Wortlaut der berüchtigten Sportpalast-Rede („Wollt ihr den totalen Krieg?“) des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels vom 18.2.1943 nachgelesen und fühlte mich dabei aber wirklich sehr an die gegenwärtigen Auftritte des russischen Präsidenten erinnert. Goebbels (1897-1945) erklärte in seiner Ansprache u.a., dass Deutschland von der Sowjetunion überfallen worden sei und nun die europäische Zivilisation gegen die anrückenden russischen Horden verteidigen müsse. Einfach die absurdesten Dinge behaupten, dabei die tatsächlichen Geschehnisse in ihr Gegenteil verkehren, also den anderen genau das vorwerfen, was man selbst gerade getan hat oder tun will, all das seinen Zuhörern immer wieder eintrichtern, auch indem man sich dabei moderner technischer Mittel bedient (wie damals des jungen Mediums Radio), und alle davon abweichenden Meinungen und Weltsichten verbieten und verfolgen – das ist die Methode Goebbels, der heute, mit den technischen Mitteln unserer Zeit, offenbar so einige fleißig nacheifern. Und das nicht nur in Diktaturen und autoritären Staaten wie China, Russland, Ungarn, Iran oder der Türkei. An Trump sehen wir doch, dass die Methode Goebbels längst auch in gefestigten Demokratien bedrohlich auf dem Vormarsch ist.
Vom AfD-Vorsitzenden Tino Chrupalla war vor kurzem zu hören: „Wir vertreten hier ganz klar das Grundgesetz, und Herr Haldenwang (BND-Chef) steht außerhalb genau dieses Gesetzes.“ Haldenwang hatte lediglich festgestellt, auf dem AfD-Parteitag seien rechtsextremistische Verschwörungstheorien verbreitet worden. Auch wenn früher immer in Debatten-Beiträgen vor dem inflationären Einsatz der Nazi-Keule gewarnt wurde, so haben wir mittlerweile, da eine rechtsradikale Partei in Umfragen bundesweit bei über 20 Prozent liegt (!) und in den östlichen Bundesländern sogar bei über 30 Prozent (!!), eine gänzlich andere Situation. Wann, wenn nicht jetzt, ist es endlich an der Zeit (wenn nicht schon allerhöchste Zeit!), die Dinge beim Namen zu nennen und die Keule der (zutreffenden) Nazivergleiche zu schwingen?!
Dein Johannes