Eduard Zimmermann, du hast mein Leben zerstört!

Recht cineastisch Spezial: Der vieldiskutierte Dokumentarfilm „Diese Sendung ist kein Spiel“ von Regina Schilling

Thomas Claer

Immer freitags um 20.15 Uhr war Krimi-Zeit im ZDF. Neben Derrick, dem „Alten“ und dem „Fall für zwei“ wurde aber seit 1967 auch jeden Monat eine neue Folge von „XY… ungelöst“ ausgestrahlt, dem „ersten True-Crime-Format weltweit“. So jedenfalls wird es in der sehenswerten Fernsehdokumentation „Diese Sendung ist kein Spiel – Die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann“ der Grimme-Preis-Trägerin Regina Schilling (Jahrgang 1962) bezeichnet, die sich in Spielfilmlänge an dieser Sendung und insbesondere ihrem langjährigen Moderator abarbeitet. Man merkt schnell, dass die Autorin und Regisseurin hier eine Art persönliches Trauma zu bewältigen versucht, denn sie hat sich offensichtlich in ihrer Kindheit und Jugend enorm vor all dem gefürchtet, was „Ganoven-Ede“ seinen Zuschauern damals so aufzutischen hatte: Die bevorzugte Opfer-Gruppe in Nachkriegs-Westdeutschland, so suggerierte es „XY…ungelöst“, waren Mädchen und junge Frauen, die immer wieder aufs Neue brutalen Lustmördern zum Opfer fielen, vor allem wenn sie alleine in „Gaststätten“ oder gar per Anhalter unterwegs waren oder „zweifelhafte Männerbekanntschaften unterhielten“. Mit einem solchen Lebenswandel, so kommentierte es Zimmermann oft in warnendem Tonfall, lebten junge Damen gefährlich, denn schließlich könnte doch hinter jedem Baum oder Strauch solch ein gemeiner Übeltäter lauern. Dabei hätte das Leben doch so schön sein können, damals, in den wilden Jahren des gesellschaftlichen Aufbruchs und der sexuellen Revolution. Es hätte grenzenlose Freiheit und feurige Abenteuer versprochen, wenn man oder vor allem frau sich nur nicht durch Zimmermann und „XY… ungelöst“ von alldem hätte abhalten lassen und stattdessen brav zu Hause geblieben wäre.

Tja, ein Stück weit muss man der Autorin schon recht geben. Zutreffend zitiert sie kriminalwissenschaftliche Untersuchungen, wonach zu allen Zeiten die größten Gefahren für sexuellen Missbrauch und sogar Tötungsdelikte keineswegs unterwegs in Lokalen oder auf der Straße, sondern vielmehr zu Hause in den eigenen vier Wänden bestanden hätten – und zwar durch nahe Angehörige der jeweiligen Opfer. Doch so etwas kam bei XY niemals vor. Was hat uns Eduard Zimmermann da nur für einen Bären aufgebunden?! Die Regisseurin übertreibt es allerdings dann doch ein wenig mit ihren Unterstellungen an Zimmermanns Adresse. In einem fort werden Sequenzen aus den damaligen Sendungen eingespielt und kritisch kommentiert, die aus heutiger Sicht in mancher Hinsicht bedenklich zu sein scheinen. Dabei spiegeln sie in erster Linie nur den damaligen Zeitgeist. Keine Frage, „XY…ungelöst“, das es auch heute noch gibt, war die längste Zeit von einer biederen konservativ-bürgerlichen Grundhaltung geprägt. Aber die Kriminalfälle, die dort nachgespielt wurden, die waren schon echt und hatten sich genauso zugetragen, weshalb man dem bereits 2009 verstorbenen Zimmermann auch keinen Strick daraus drehen sollte, dass er vor solchen Verbrechen gewarnt hat. Es liegt nur eben in der Natur einer solchen Sendung, dass bei der Auswahl dessen, was gezeigt wird, eher auf die Einschaltquote geschielt als auf eine repräsentative und wirklichkeitsgetreue Abbildung der Kriminalstatistik geachtet wird. Zumal die besagte Kriminalität aus dem häuslichen Umfeld der Opfer seinerzeit auch noch stark tabuisiert war und sich zumeist ungesühnt im Verborgenen abspielte. Dennoch ist Regina Schilling ein bemerkenswerter Film gelungen – über eine Sendung, die trotz all ihrer Schwächen ein großartiges Stück Fernsehgeschichte geschrieben hat.

„Diese Sendung ist kein Spiel – Die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann“
Deutschland 2023
Buch und Regie: Regina Schilling
In der ZDF-Mediathek: https://www.zdf.de/kultur/kultur/diese-sendung-ist-kein-spiel-die-unheimliche-welt-des-eduard-zimmermann-100.html

 

Veröffentlicht von on Sep 4th, 2023 und gespeichert unter DRUM HERUM, RECHT CINEASTISCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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