Ganz die alte Ewigjunge

PJ Harvey auf “I Inside the Old Year Dying”

Thomas Claer

Welch eine Freude es doch ist, endlich wieder etwas Neues von PJ Harvey zu hören! Einige Jahre lang hat sie sich rar gemacht und, so heißt es, u.a. an ihrem zweiten Gedichtband gearbeitet. Genau genommen, so verrät uns Wikipedia, handelt es sich hierbei um einen Versroman im Dialekt ihrer Heimat Dorset, einer “traditionellen und zeremoniellen Grafschaft” (Wikipedia) im Südwesten Englands, die schon viele bedeutende Schriftsteller hervorgebracht hat. So wie auch die großartige Sängerin und Songwriterin PJ Harvey, deren herausragende letzte Klangwerke “Let England Shake” (2011) und “The Hope Six Demolition Project” (2016) wir noch in allerbester Erinnerung haben. Nun also ist mit “I Inside the Old Year Dying” ihr mittlerweile zehntes Studioalbum erschienen. Zählt man noch die beiden Kooperationen mit John Parish von 1996 und 2009 dazu, was man unbedingt tun sollte, denn John Parish war bei mehreren anderen PJ-Harvey-Platten ja schließlich auch mehr als nur unwesentlich beteiligt, ohne darauf eigens als Co-Hervorbringer zu firmieren, wie übrigens auch diesmal, dann ist die neue Platte bereits ihre zwölfte. Um von weiteren John-Peel-Sessions- und Raritäten-CD gar nicht erst zu reden… Kurzum, die in wenigen Tagen 54-jährige PJ kann auf eine nicht unerhebliche Anzahl an Veröffentlichungen zurückblicken und klingt dennoch auf ihrem neuen Album unverändert wie ein junges Mädchen, oder sagen wir: wie das eigensinnige und etwas kratzbürstige junge Mädchen, als das wir sie schon auf ihren ersten Platten Anfang der 90er kennengelernt haben. Und, nur ganz nebenbei: Auch optisch hat sich Polly Jean über die Jahre hinweg bemerkenswert gut gehalten. Auf dem Rückseitenfoto versprüht sie jedenfalls im engen weißen Kleid und in High Heels, dabei ihr rechtes Bein und ihren linken Unterarm entblößend, mehr Sex-Appeal als alle heutigen 21-jährigen Superstars zusammen.

Zur Musik auf “I Inside the Old Year Dying” ist zu sagen, dass sie zwar nicht ganz an die der beiden glänzenden Vorgängeralben herankommt, aber alles in allem doch wieder sehr überzeugend geraten ist. Ein paar schwächere Songs fallen wenig ins Gewicht angesichts der Vielzahl an sehr starken Titeln. Zu Beginn der Platte erinnert PJs Stimmakrobatik etwas an ihre frühere CD “White Chalk” (2007), die wir seinerzeit an dieser Stelle ebenfalls mit Lob überschüttet haben. Im weiteren Verlauf, vor allem im in der Mitte des Albums platzierten Titelstück und bei dessen Variation “I Inside the Old I Dying”, klingt es dann doch wieder ganz ähnlich wie auf den gefeierten Vorgängern: ziemlich folkig und melodisch, fast schon hymnisch und dabei doch PJ-typisch rau und ungeschliffen. Besonders hervorzuheben ist noch, dass sie mitunter auch ganz neue Wege geht – wie auf dem wahrhaft gespenstischen “All Souls”. Das Urteil lautet: gut (13 Punkte).

PJ Harvey
I Inside the Old Year Dying
Partisan Records LLC / Knitting Factory Records Inc. 2023
PTKF3032-2

Veröffentlicht von on Sep 25th, 2023 und gespeichert unter SCHEIBEN VOR GERICHT. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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