Ein neues Lehrbuch liefert Antworten aus der Perspektive des Rechts
Matthias Wiemers
Seit einigen Jahren wird in Deutschland viel von „Digitalisierung“ geredet. Nach Armin Nassehi ist das gar kein so neues Phänomen (vgl. sein Buch „Muster“, besprochen hier an dieser Stelle), aber der Prozess der Digitalisierung, der sich theoretisch selbst beschleunigt, wenn erst einmal grundlegende Voraussetzungen hierfür geschaffen sind, geht in Deutschland nur sehr langsam voran. Und die Bedenken gegen eine unüberlegte Digitalisierung von allem und jedem wiegen in der Tat schwer. Ein Weg, um den Bedenken zu begegnen, ist der Versuch der Verrechtlich dieses technologischen Prozesses. Und hierzu gibt es jetzt auch ein handliches Lehrbuch, das bereits seit geraumer Zeit angekündigt war. Mario Martini (Speyer), Florian Möslein (Marburg) und Frau Rostalski (Köln) beleuchten nun das Phänomen öffentlichrechtlich, zivilrechtlich und strafrechtlich.
In der von ihm verfassten Einführung beschreibt Möslein zunächst das Phänomen „Digitalisierung und Recht“, beleuchtet dann kritisch die Frage, ob die deutsche Juristenausbildung dem Phänomen schon entspricht und skizziert schließlich noch einige „Herausforderungen“, worin er jedenfalls feststellt, dass sich das Recht der Digitalisierung zu einer eigenständigen Rechtsmaterie entwickele (Rdnr. 11). Dem kann man wohl zustimmen. Spannend war es dann schon zu sehen, wie die drei Autoren das Thema denn wohl unter die drei großen Gebiete der Rechtswissenschaft aufteilen würden (denn schließlich ist vieles davon Europarecht, das dann wohl eher dem Autor Martini zuzuordnen wäre).
Mario Martini beginnt seinen Teil mit einer Darstellung der verfassungs- und unionsrechtlichen Grundlagen der Digitalisierung (§ 1). Der Beitrag theoretisiert aber nicht, sondern bringt gleich auf der zweiten Seite einen einfachen Fall mit Lösung (S. 25), dem auf der nächsten Seite ein weiterer Fall folgt (S. 26 f.). Und so geht es weiter. Auch das schaubild auf S. 35 ist sehr eingängig, weil es die verschiedenen Schutzbereiche der möglicherweise einschlägigen Grundrechte plastisch gegeneinander abgrenzt. Besonders hervorzuheben ist der Abschnitt C dieses Kapitels über rechtsstaatliche und demokratische Herausforderungen maschinellen Lernens. Dies stellt eine Herausforderung für den gesamten Bildungsbereich dar und verdient, auch von Kolleginnen und Kollegen des Autors rechtlich verstanden und bewältigt zu werden. Denn lautete das Schlagwort in den öffentlichen Debatten bis vor kurzem noch allgemein „Digitalisierung“, so ist es inzwischen „KI“. Was die künstliche Intelligenz aber im Bereich des Lernens bedeutet, erfährt man von Mario Martini.
Das zweite Kapitel behandelt „einfachgesetzliche Querschnittsvorgaben des öffentlichen Daten- und Digitalisierungsrechts“ (§ 2) und beginnt mit einer Darstellung von Anforderungen der DSGVO. Kapitel drei behandelt sodann die „Digitalisierung der Verwaltung“ (§ 3). Auch hier bleibt keine grundsätzliche Frage offen und sei die Abbildung der verschiedenen Formen des Verwaltungsakts auf S. 130 als sehr instruktiv hervorgehoben. Ein kurzes Kapitel betrifft noch die „Digitalisierung der Verwaltungsjustiz“ (§ 4). Die Abschnitte enden jeweils mit sinnvollen Widerholungs- und Vertiefungsfragen, wobei allein der erste Teil des Buchs insgesamt 31 kurze Fälle mit Lösungen enthält.
Es folgt der Teil 2 zum Privatrecht, der mit einem knappen Überblick über die Schuldrechtsreform 2022 eingeleitet wird. § 5 ist sodann der Darstellung der Digitalisierung im Allgemeinen Teil des BGB, § 6 dem Schuldrecht und § 7 dem Sachenrecht gewidmet. Möslein schließt seinen Teil mit einer Überblicksdarstellung der zivilrechtlichen Nebengebiete (§ 8).
Rostalski weist ihre nur halbseitige Einleitung über „Strafrecht im Zeitalter der Digitalisierung“ sogleich als eigenes Kapitel aus (§ 9) und schildert dann ausführlich die „Herausforderungen der Digitalisierung für das materielle Strafrecht“ (§ 10). Es folgt ein kürzeres Kapitel zur „Digitalisierung und die Praxis der Strafzumessung“ (§ 11). Hier werden etwa Strafzumessungsdatenbanken (Rdnr. 1) besprochen, die den Leser sogleich an Befunddatenbanken im Bereich der digitalisierten Medizin erinnern. Es folgt ein Kapitel über den „Einfluss der Digitalisierung auf das Strafverfahren und die Rechtsfindung“ (§ 12). Es folgt ein kleines Kapitel über die „Digitalisierung in der Praxis der Strafvollstreckung“ (§13), worin es u. a. heißt, es liege auf der Hand, dass die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung besonders grundrechtssensibel sei (Rdnr.5). Dies mag so sein, aber man hätte sich doch mehr Ausführungen in diesem Kapitel gewünscht, das im Grunde nur eine Beschreibung der Software COMPAS (Correctional Offender Management Profiling for Alternative Sanctions“) enthält (Der Rezensent ärgert sich jetzt, dass er gestern Abend nicht „Minority Report“ mit Tom Cruise gesehen hat). Sinnvoller erscheint schon das Schlusskapitel des Abschnitts über „Strafrechtliche Compliance im digitalen Zeitalter“ (§ 14).
Mario Martini gestaltet nun noch einen vierten Teil, der überschrieben ist mit „Ausblick auf neue und künftige unionale Rechtsakte“. Er beinhaltet Kapitel über die KI-Regulierung (§ 15), den Digital Markets Act (§ 16), den Digital Service Act (§ 17), die E-Privacy-Verordnung (§ 18), den Data-Governance Act (§ 19) und den Data-Act (§ 20)., die jeweils knappe Darstellungen von Problem und Lösungsvorschlag beinhalten. Der Band schließt mit einer Literaturübersicht, einem von allen Autoren verantworteten Glossar über wichtige Begriff und natürlich einem Stichwortverzeichnis.
An dem neuen Lehrbuch gibt es wenig auszusetzen. Die Darstellung der drei ersten Teile hätte vielleicht etwas aneinander angeglichen werden können, was aber nicht den Umfang angeht, denn der hat erwartungsgemäß einen öffentlich-rechtlichen Schwerpunkt. Gleichwohl ist die Leistung Martinis besonders hervorzuheben. Dieses Lehrbuch verdient Verbreitung nicht zuletzt im Kreise der Praktiker!
Mario Martini, Florian Möslein, Frauke Rostalski
Recht der Digitalisierung. Legal Tech
Nomos Verlag 2023; 356 Seiten; 28,90 Euro
ISBN 9783848780921