Recht cineastisch Spezial: Warum “Die Feuerzangenbowle” kein Nazi-Film ist. Eine Entgegnung auf Sonja Zekri
Thomas Claer
Wohl kaum einen Film habe ich in meinem Leben so oft gesehen wie “Die Feuerzangenbowle”. Ende Januar 1944, also vor genau 80 Jahren, erstmals aufgeführt in Berlin, nach Ende der Nazi-Zeit aber zunächst verschämt in den Archiven verschwunden, wurde der legendäre Pennäler-Ulkstreifen dann Anfang der Sechzigerjahre in Ost- und Westdeutschland gleichermaßen wiederentdeckt – und hat seitdem unzählige Wiederholungen auf diversen Fernsehkanälen und in Kinosälen erlebt. Seinen zahlreichen Fans gilt er generationsübergreifend als wahrer Klassiker der Schulfilm-Klamotte. Es ist ja auch wirklich zu komisch, wie sich die ernsthaften und verbiesterten Pauker fortwährend der ausgelassenen Streiche ihrer Zöglinge erwehren müssen.
Doch hat es schon seit Jahrzehnten immer wieder herbe Kritik an der scheinbar so harmlosen Schüler-Komödie wegen ihrer etwaigen Nazi-Kontaminiertheit gegeben. Jüngst hat nun die geschätzte und verehrte Sonja Zekri im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung (vom 27.1.2024) zum abermals großen Schlag gegen den anrüchigen Filmspaß ausgeholt. Vor allem beklagt sie, womit sie zweifellos einen Punkt hat, die monströse Geschmacklosigkeit, die bereits darin liege, zeitgleich mit Kriegsverbrechen und Holocaust überhaupt einen solchen Film in die Welt gesetzt zu haben. Dieser enthalte zudem eine Menge Nazi-Ideologeme, angefangen vom vorgestrigen Frauenbild (positiv gezeichnete Unschuld vom Lande versus arrogante Großstadt-Dame aus Berlin) bis hin zum – unstrittig – NS-Propaganda verbreitenden Geschichtslehrer Dr. Brett. Noch dazu ist dieser Dr. Brett, der von der Erziehung der Jugend analog zu nicht schief wachsen dürfenden Bäumen schwadroniert, die einzige Filmfigur, für die es in der Romanvorlage von Heinrich Spörl aus dem Jahr 1933 keine Entsprechung gibt. Das heißt, er wurde offenbar allein zu propagandistischen Zwecken noch nachträglich in die Handlung eingefügt. Und schließlich, so erfährt man auch noch aus Sonja Zekris Text, sei Hauptdarsteller Heinz Rühmann nach den Dreharbeiten sogar eigens mit den Filmrollen auf die Wolfsschanze gefahren, um vom Führer höchstselbst die Freigabe des Films zur öffentlichen Aufführung zu erwirken, die ihm wegen befürchteter Untergrabung von Autoritäten zunächst verweigert worden war. Woraufhin sich Hermann Göring dann den Film mit Heinz Rühmann angesehen und anschließend Hitler darauf angesprochen habe. Und der Führer habe ihn gefragt: “Ist dieser Film komisch?” Und Göring habe das bejaht. Worauf Hitler erklärt habe: “Dann ist er fürs deutsche Volk freizugeben.”
Ist also “Die Feuerzangenbowle” somit eindeutig als Nazi-Film überführt, den man sich keinesfalls mehr anschauen sollte, zumal von jeder öffentlichen Aufführung auch noch die Inhaberin der Filmrechte profitiert, welche (bezeichnenderweise) AfD-Mitglied ist?
Um es gleich deutlich zu sagen: Man kann das alles durchaus so sehen, aber zwingend ist es keineswegs. Fest steht allein, dass sich daraus, dass der Film im Dritten Reich entstanden ist, gewisse Konsequenzen für ihn ergeben. Einen Anti-Kriegsfilm oder einen Anti-NS-Film zu drehen, wäre zu jener Zeit in Deutschland nicht möglich gewesen. Es sei daran erinnert, dass der Komponist der Filmmusik der “Feuerzangenbowle” noch vor der Erstaufführung wegen des Erzählens politischer Witze hingerichtet wurde. (Auch das steht in Sonja Zekris Artikel.) Wie stark der Film nun allerdings mit Nazi-Ideologie durchsetzt ist oder ob er sich nicht vielmehr als auffällig unpolitisch oder sogar dezent subversiv ausnimmt, darüber lässt sich trefflich streiten. Die meisten seiner Inhalte spiegeln wohl eher den allgemeinen Geist jener Jahre wider als einen spezifischen Nazi-Ungeist. Eindeutig nationalsozialistisch tritt allein der besagte Geschichtslehrer Dr. Brett auf. Doch wird er im Film wirklich positiv gezeichnet? Zeugt nicht bereits sein Name vom Gegenteil? Ist nicht die naheliegendste Assoziation, die sich hier einstellt, das sprichwörtliche Brett vorm Kopf, das in Anlehnung an ein hölzernes Sedativum für Ochsen die Verbohrtheit, Inflexibilität oder Begriffsstutzigkeit von jemandem bezeichnet. Wenn dieser Lehrer in die Klasse kommt, herrscht – anders als bei seinen Kollegen – augenblicklich Ruhe und Disziplin. Das werden viele damals gut gefunden haben. Aber machen ihn seine autoritären Erziehungsmethoden wirklich zu einem Sympathieträger bei seinen Schülern und dem Publikum? Ist er nicht sogar eher eine absichtsvoll ambivalent gehaltene Figur, die sowohl die damaligen ideologischen Vorgaben bedient als auch zugleich dem Betrachter Raum dazu lässt, auf Distanz zu gehen?
Ist es angesichts seines Entstehungsumfelds nicht vielmehr bemerkenswert, dass ein über weite Strecken so frecher und aufmüpfiger, fortwährend Autoritäten verspottender Film seinerzeit überhaupt zugelassen wurde? Und ist nicht der vordergründig unpolitische Schlussmonolog, in dem Hans Pfeiffer (mit drei f) ausführt, dass nur unsere Träume und Erinnerungen wahr seien, was Sonja Zekri als Augenverschließen vor den Nazi-Verbrechen deutet, das bereits auf die anschließenden Verdrängungen der Nachkriegszeit verweise, vielleicht sogar im Gegenteil ein verstecktes Statement gegen ein durchideologisiertes System? Ist es für Kulturprodukte aus totalitären, gleichgeschalteten Gesellschaften nicht oftmals sogar ein Qualitätsmerkmal, wenn sie “unpolitisch” sind, denn welche politische Haltung könnte sich in ihnen denn schon klar und deutlich ausdrücken außer doktrinärer Parolenhaftigkeit entsprechend den ideologischen Vorgaben? Anders gesagt: Das einzig mögliche Mittel des Aufbegehrens ist hier, wenn überhaupt, die Subversion, etwa durch versteckte Andeutungen oder Mehrdeutigkeiten. Und nun möge jede und jeder selbst darüber urteilen, ob sich in diesem Film mehr Staatspropaganda oder mehr Hinweise auf Subversion finden lassen. Kurzum, “Die Feuerzangenbowle” ist ein Film aus Nazi-Deutschland, aber deshalb noch lange kein Nazi-Film.