Geheime Aufzeichnungen eines Volljuristen
Liebes Tagebuch,
wenn man mittlerweile schon zu den eher Älteren gehört, dann findet man naturgemäß vieles von dem, was heutzutage junge Menschen umtreibt und entzückt, eigentlich gar nicht so besonders und vor allem nicht sonderlich neu. Na gut, den ganzen technischen Kram hat es so natürlich früher nicht gegeben. Damit hört es dann aber auch schon auf. Es geht nämlich schon los damit, wie die Jüngeren sich anziehen. Sehr treffend schrieb Kurt Kister letzte Woche in der Süddeutschen: „Während die Menschen immer älter werden, wird ihre Kleidung immer jünger. Viele Junge dagegen tragen heute wieder unförmige, meist schwarze Hosen oder Pullover ohne nennenswerten Schnitt. Sie sehen aus, wie Onkel Herbert vor 50 Jahren im Garten aussah. Aber das wissen sie nicht, weil sie jung sind.“
Als ich neulich unsere Wohnung in Neukölln vermieten wollte, stieß ich auf das Gesuch eines nerdigen IT-Manns Ende zwanzig, Spezialist für Datenmanagement und KI mit unbefristeter Anstellung bei einer Consulting-Firma. Der schien mir gut passend zu sein, denn in dieser Branche werden ja bekanntlich sehr gute Gehälter bezahlt. Doch dann stellte sich heraus, dass er nur in Teilzeit arbeitet, um mehr Zeit für seine vielfältigen Hobbys und Interessen zu haben. Ein typischer Vertreter der Generation Z also, der mir gleich sympathisch war, denn so ähnlich hatte ich mir das früher auch immer vorgestellt mit der Work-Life-Balance, und im Grunde genommen ist es bei mir ja dann nach einigen Umwegen auch genau in diese Richtung gegangen: Bloß nicht so viel arbeiten… Nur war das damals, vor dreißig Jahren, noch kein Mainstream, sondern mehr so ein Subkulturen-Phänomen. Es nannte sich Slackertum und war z.B. verbreitet unter jungen Leuten, die Digitaluhren trugen und Tocotronic hörten.
Aber die heutige Generation Z setzt da sogar noch eins drauf, denn ihre Angehörigen sollen in großer Zahl Stubenhocker sein. Sie gehen nicht gerne vor die Tür, sondern bleiben einfach zu Hause. Genauso wie ich als Kind und als Jugendlicher, und das galt damals als maximal uncool. Heute dagegen liegt es voll im Trend, jedenfalls bei den Jüngeren, während die Älteren wie ich peinlich darauf achten, jeden Tag ihre 10.000 Schritte an der frischen Luft zu machen. Was mir an der Generation Z auch noch gefällt, ist ihr Low Performertum. Sie haben einfach keinen beruflichen Ehrgeiz. Auch hierin bin ich, wenn ich es richtig sehe, meiner Zeit weit voraus gewesen. Und auch heute noch ist mir eine gute Performance allein im Aktien-Depot und im Immobilien-Portfolio wichtig. Der junge IT-Mann hat mich übrigens bei der Miete um 30 Euro runtergehandelt, aber dann die Wohnung am Ende trotzdem nicht genommen, weil ihm überraschend angetragen worden war, die Wohnung seines Freundes mit Uralt-Mietvetrag zu übernehmen. Zum Glück auch für mich, denn so konnte ich durch anderweitige Vermietung noch meine Performance retten…
Dein Johannes