Scheiben Spezial: Ein zweiteiliger ARD-Dokumentarfilm kanonisiert die „Hamburger Schule“
Thomas Claer
Drei Jahrzehnte ist es nun schon her, dass das vorläufig letzte „große Ding“ der deutschen Popmusik, das sich ganz explizit als „antikommerziell“ definierte, seinen Höhepunkt erlebte. Seinerzeit, das muss man wissen, galt Hamburg noch als veritables Zentrum der deutschen Popkultur, und wer damals jung war und was erleben wollte, den zog es noch längst nicht so schnurgerade nach Berlin, wie es dann spätestens seit der Jahrtausendwende der Fall gewesen ist, als schließlich sogar maßgebliche Vertreter der „Hamburger Schule“ der Hansestadt den Rücken kehrten und ihre Zelte in Berlin aufschlugen.
Wir befinden uns also in den Neunzigern. Mauerfall und Wiedervereinigung lagen noch nicht lange zurück, ebensoweing die furchtbaren Pogrome in mehreren ost-, aber auch westdeutschen Städten. Und so brauchte es, um letzterem etwas entgegenzusetzen, eine neue musikalische Jugendbewegung mit dezidiert politischer Haltung und ganz viel intellektuellem Überschuss. Ein findiger Musikjournalist fand dafür den passenden Namen – und die „Hamburger Schule“ war geboren. Eine Plattenfirma mit dem schönen Namen „L‘ Age d’Or“ (Goldenes Zeitalter) nahm die maßgeblichen Protagonisten unter Vertrag und holte sie, die fast alle aus der deutschen Provinz stammten, allesamt an die Alster. Dort traf man sich dann in Kneipen und Szenelokalen mit Namen wie „Pudelklub“ im Schanzenviertel oder auf St. Pauli. Nur eine Hand voll Bands von ihnen ist dann wirklich groß rausgekommen, allen voran Blumfeld, Die Sterne und Tocotronic.
Der sehr sehenswerte Zweiteiler „Die Hamburger Schule – Musikszene zwischen Pop und Politik“ (hier ansehbar in der ARD-Mediathek) nimmt den Betrachter mit auf eine Zeitreise zurück in die eigene Jugend und geht auch inneren Widersprüchlichkeiten dieser Bewegung nach, wie der, dass es in der Szene nur ganz wenige Frauen gab. Man hätte auch noch ergänzen können, dass sie fast ausschließlich aus jungen Menschen aus den alten Bundesländern und ohne Migrationshintergrund bestand.