Berufswünsche

Geheime Aufzeichnungen eines Volljuristen

Liebes Tagebuch,

schon seit der 3. Klasse hatte ich nur einen sehnlichen Berufswunsch: Ich wollte Sportreporter werden, genauer gesagt Fußball-Reporter. Nicht nur verfolgte ich an jedem Wochenende wie gebannt die Fußball-Berichterstattung in Ost und West in Rundfunk und Fernsehen. Ich spielte die Spiele anschließend dann auch noch auf meinen diversen Tischfußballspielen nach. Und dabei kommentierte ich jede Aktion lautstark und mit aufgeregter Stimme. Auch wenn wir draußen auf der Straße unter Freunden Fußball spielten, war ich dafür bekannt, dass ich meinen Mund nicht halten konnte und jeden Spielzug meiner Mitspieler mit dem damals zeittypischen Reporterduktus beschreiben musste: „Und wieder ein Angriff über die rechte Seite. Olli spielt den Ball zu Holger, Holger zu Frank. Aber nein, da ist kein Durchkommen. Doch da kommt Michi aus dem Hintergrund, Michi schießt und… – eine Glanzparade von Klaus im gegnerischen Tor!“ Sogar wenn ich auf dem Rasen im Garten meiner Eltern alleine Fußball spielte, kommentierte ich meine Bewegungen, mit denen ich nacheinander die Spiele des jeweils letzten Oberliga-Spieltags nachstellte, im Stile der Reporter in den Stadien, untermalt von den typischen Fußballplatz-Geräuschen, die ich ebenfalls imitierte: vom Raunen angesichts vergebener Torchancen über das Pfeifkonzert bis hin zum Torjubel. Meine Eltern fanden mein Treiben reichlich seltsam, und mein Vater sagte zu mir manchmal, ich solle doch bitte etwas leiser dabei sein, sonst dächten die Leute, die am Garten vorbeigingen, ich hätte nicht alle Tassen im Schrank…

Mit der Zeit wurde ich mir aber unsicher, ob der Fußball-Reporter-Beruf wirklich der richtige für mich wäre, denn ich bemerkte bei meinen häufiger werdenden Besuchen im Stadion, dass es mir keineswegs immer gelang, die jeweils ballführenden Spieler sofort zu identifizieren, wie es ja bei Live-Reportagen erforderlich gewesen wäre. So reifte in mir allmählich die Erkenntnis, dass ich wohl doch besser bei den schreibenden Sport-Journalisten aufgehoben wäre, denn Schreiben, das mochte ich schon immer gerne. Und als sich bei mir dann nach und nach auch immer mehr weitere Interessen neben dem Fußball herausbildeten, da erweiterte sich mein Berufswunsch schließlich auf Journalist. „Du hast mich damals sehr beeindruckt“, verriet mir vor einigen Jahren beim Klassentreffen meine damalige Banknachbarin, „weil du schon in der 6. Klasse gesagt hast:’Ich will Journalist werden.'“ Und dann fragte sie mich:“Bist du es denn geworden?“ „Naja, sowas Ähnliches“, gab ich zurück.

Die letztendlich richtungsweisendste Inspiration für meine berufliche Zukunft erhielt ich dann jedoch, als ich im Alter von 20 Jahren den Roman „Buddenbrooks“ von Thomas Mann las. Da trat die Figur Alois Permaneder auf, ein Münchener Hopfenfabrikant im mittleren Alter, der sich aus allen operativen Geschäften zurückgezogen hatte und nunmehr als Privatier vorgestellt wurde. Nachdem ich dieses mir bis dahin unbekannte Wort im Fremdwörterbuch nachgeschlagen hatte, wusste ich sofort: Das wäre was für mich – sich nur um die Verwaltung der eigenen Vermögensangelegenheiten kümmern und ansonsten mit seiner Zeit ganz nach Belieben verfahren können. Nur hielt ich das seinerzeit noch für vollkommen unrealistisch. Und zumindest für Permaneder im Roman nahm es ja auch kein gutes Ende, da er die ihm als vermeintlich guter Partie angetraute schöne Tony Buddenbrook ganz schnell wieder loswurde, nachdem er sie in angetrunkenem Zustand mit einem Wort beschimpft hatte, das für die hanseatisch vornehme Tony so ungeheuerlich obszön klang, dass sie mit diesem Mann fortan nicht mehr zusammenleben wollte. Erst mehr als hundert Seiten später wird im Roman das Geheimnis gelüftet, um welches Wort es sich dabei gehandelt hat. Es lautete: Sauluder damisches.

Dein Johannes

Veröffentlicht von on Aug 26th, 2024 und gespeichert unter JOHANNES, LIEBES TAGEBUCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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