Der Simitis/Hornung/Spiecker wurde neu aufgelegt
Matthias Wiemers
Nach dem Tod von Spiros Simitis, dem Vater des ersten Datenschutzrechts der Welt (Hessen 1970) und Altmeister des Datenschutzrechts in Deutschland, haben seine Mitstreiter und Nachfolger den schon in der Vorauflage aus dem alten BDSG-Kommentar in eine Kommentierung aus DSGVO und BDSG umgewandelten NomosKommentar nunmehr neu aufgelegt. Nachdem die Erstauflage Ende 2018 das Wirksamwerden der DSGVO aufgreifen musste, kann die Neuauflage erste Erfahrungen mit der Anwendung der DSGVO sowie mit dem angepassten nationalen Datenschutzrecht aufnehmen. Zwischen den Zeilen mag man aber die Frage vermuten, wie eigentlich das (europäische) Datenschutzrecht mit den jüngst auf europäischer Ebene verabschiedeten Rechtsetzungsvorhaben zur Umsetzung der EU-Datenstrategie von 2020 konform gehen kann. Immer wieder ist in der aktuellen Literatur zu lesen, das Datenschutzrecht müsse an die neuen Rechtsetzungsakte noch angepasst werden, bei dem Hinweis, dieses bleibe „unberührt“, könne es nicht dauerhaft bleiben. Insofern war dies auch die Leitfrage für den Rezensenten, eventuell Hinweise im hier vorzustellenden Band auf diese neue Herausforderung zu finden.
Schlägt man den Kommentar auf, so fällt auf, dass dort vorn im Inhaltsverzeichnis nur von der DSGVO die Rede ist, die vollständig durchgegliedert wird. Erst durch tastendes Durchblättern findet man so etwa im letzten Viertel des Bandes das BDSG, das selbst zu seinem Beginn kein Inhaltsverzeichnis mehr enthält. Dort muss man sich also mühsam durch Blättern orientieren – sofern man nicht ohnehin als Kenner der Materie genau die Einzelkommentierung ansteuert, die man nun benötigt. Die Hoffnung auf eine integrierte Kommentierung beider Gesetzeswerke wird damit erst einmal enttäuscht. Die beiden jetzigen Herausgeber Gerrit Hornung und Indra Spiecker gen. Döhmann enttäuschen aber insoweit nicht, als sie auf insgesamt 161 Seiten eine Einleitung in die Gesamtmaterie liefern, die am Schluss auch explizit auf “Das deutsche Datenschutzrecht nach dem Wirksamwerden der DS-GVO“ eingeht. Wenn auch in aller Kürze, so wird dort doch referiert, welche Gesetzgebungskompetenzen es hier gibt und wie Bund und einzelne Länder auf die Ablösung der früheren EU-Richtlinie durch eine Verordnung reagiert haben (Rdnr. 309 ff.). Die hier vorstehend angedeutete Fragestellung der Vereinbarkeit des Datenschutzrechts mit der neueren EU-Rechtsetzung wird in einem Ausblick (Rdnr. 342 ff.) recht ausführlich behandelt (unter weiterem Verweis auf Rdnr. 257 ff.).
Um die Rolle der DSGVO für den Datenschutz bewerten zu können, liefern die Herausgeber in ihrer Kommentierung von Art. 1 DSGVO eine Schlüsselstelle, die hier zitiert werden mag: Der „Anspruch eines umfassenden Datenschutzrechts geht einerseits zu weit. Das Ziel, sämtliche Datenverarbeitungsvorgänge in Bezug auf personenbezogene Daten zu regeln, wird sich mittel- und langfristig nur mithilfe einer differenzierten, an den jeweiligen Verarbeitungsvorgängen orientierten Reaktion erreichen lassen. Die DS-GVO wird lediglich allgemeine Pflöcke einschlagen können, anhand derer die äußeren Leitlinien für legale Datenverarbeitung bestimmt werden. Ihrem eigenen Anspruch wird sie auch nicht gerecht, denn gerade die Öffnungsklauseln des Art. 6 Abs. 1 UABS. 1 lit. c und f, Abs. 2 und 3 ermöglichen den Mitgliedstaaten weitgehende Sonderregelungen im öffentlichen Bereich. Allerdings wird durch die Regelungstechnik des Einsatzes von Öffnungsklauseln in einer Verordnung auch deutlich, dass die DS-GVO zwar weitere Regelungen zulässt, dies aber nur in einem (je nach Öffnungsklausel mehr oder weniger) engen und von ihr bestimmten Rahmen vorsieht. Ein umfassendes Datenschutzrecht zu gewährleisten, greift in einem Anspruch andererseits aber auch zu kurz. Denn das Datenschutzrecht ist nur eines von vielen Rechten, die sich mit dem Umgang mit Informationen im weiten Sinne befassen. Die neueren Rechtsakte der EU greifen sämtlich verschiedene weitere Aspekte der Digitalisierungskultur auf. (…), (Art. 1 DS-GVO, Rdnr. 7 f.).
Die Kommentierung ist gründlich und wertet jeweils die wichtigste Literatur sowie die Rechtsprechung aus. Die Herausgeber werden von insgesamt 24 weiteren Autoren unterstützt, wozu auch Jan-Philipp Albrecht zählt, der als seinerzeitiger Berichterstatter im EU-Parlament u. an der Einleitung beteiligt war. Die Autorinnen und Autoren entstammen einerseits der Wissenschaft, andererseits der Praxis, worunter Behördenvertreter dominieren. Wir können daher erwarten, dass die weitere Rechtsentwicklung von einer breiten Community in unserem Land begleitet und gestaltet werden wird.
Simitis/Hornung/Spiecker gen. Döhmann
Datenschutzrecht
Nomos Verlag, 2. Aufl. 2024
1800 Seiten; 229,00 Euro
ISBN: 978-3-8487-8958-0