Geheime Aufzeichnungen eines Volljuristen
Liebes Tagebuch,
in der Schule in der DDR habe ich damals in den Achtzigerjahren noch im Geschichtsunterricht gelernt, dass der Faschismus die Herrschaft der aggressivsten und chauvinistischsten Kreise des Monopolkapitalismus sei. Im Faschismus zeige der Kapitalismus nämlich sein wahres Gesicht, das er ansonsten nur verschleiere. Natürlich liegt auch in dieser holzschnittartigen, ideologischen und überdies sehr einseitigen Betrachtung ein Körnchen Wahrheit, nämlich die, dass das „große Geld“ im Zweifel zu allen Schandtaten bereit ist, wenn es sich davon einen Nutzen verspricht. Aber das gilt zweifellos auch für nicht wenige Menschen mit eher kleinem Geldbeutel, denn sonst würden sie nicht in so großer Zahl einen Präsidenten oder eine Partei wählen, die ihre migrantischen Mitmenschen deportieren wollen. Auch die Annahme, dass sich „das Kapital“ nur der Politik bediene, um seine verwerflichen eigenen Interessen durchzusetzen, und in Wahrheit stets selbst im Hintergrund alle Fäden ziehe, schien mir doch immer recht weit hergeholt zu sein. Eher hielt ich es bisher für plausibel, dass Demokratie und Rechtsstaat, soziale Marktwirtschaft und freier Welthandel ein gelungener Kompromiss für alle Beteiligten sind, und dass die Unterstützung Hitlers in großem Stil durch die deutsche Industrie in den Dreißiger- und Vierzigerjahren des vorigen Jahrhunderts nur eine Verirrung gewesen ist, aus der auch das „große Geld“ seine Lehren gezogen hat: dass sich nämlich durch friedlichen Austausch und die fortwährende Erschließung neuer Absatzmärkte noch weitaus gewinnbringender wirtschaften lässt als mit Gewaltherrschaft, Krieg und Zerstörung.
Doch steht hinter all dem leider aktuell wieder ein dickes Fragezeichen. Wenn der reichste Mensch der Welt, also gewissermaßen der Rockefeller 2.0, mit seinem Geld nicht nur einem verurteilten Straftäter, Diktatorenfreund und notorischen Lügner erneut zum amerikanischen Präseidenten-Amt verhilft, sondern auch selbst öffentlich den Hitlergruß zeigt und in Europa rechtsextremistische Parteien massiv unterstützt, dann haben wir wirklich ein Problem. Zumal er auch noch die relevantesten Medien der heutigen Zeit, die sogenannten sozialen Netzwerke, anteilig beherrscht und dort nach Belieben seine Propaganda verbreitet (wie auch sein ebenfalls schwerreicher Köllege, der inzwischen auf genau diese Linie eingeschwenkt ist und solche Dinge zulässt, indem er Faktenchecks aller Art abgeschafft hat). Das „große Geld“ von heute ist also zur ernsten Gefahr geworden für alles, was uns lieb und teuer ist. (Warum das so geworden ist? Damit die Betreffenden ohne nervige Regulierung noch bessere Geschäfte machen und perspektivisch autoritäre Kolonien auf dem Mars errichten können. Wie gaga ist das denn?!)
Da passt es natürlich auch ins Bild, dass wir voraussichtlich in wenigen Wochen von einem Angehörigen der „gehobenen Mittelschicht“ regiert werden mit einer Million – nicht Vermögen, sondern jährlichem Einkommen, wie er mal verraten hat, womit er aber nur ein vergleichsweise kleiner Fisch ist, der für eine Art „sauerländischen Trumpismus“ steht (so Karl-Rudolf Korte). Und das Schlimme ist, dass man ihm ganz unbedingt Erfolg wünschen muss, damit nicht in vier Jahren noch weitaus schlimmere Kräfte an die Macht kommen. Es ist derzeit wirklich gruselig.
Dein Johannes
P.S.: Nach den jüngsten von ihm ohne jede Not herbeigeführten Eskapaden allerdings (erstmals sehenden Auges gemeinsame Abstimmung mit der AfD im Bundestag unter Brüskierung der designierten künftigen Koalitionspartner) wachsen nun erhebliche Zweifel an Merzens Eignung fürs Kanzleramt, zumal er sich damit in einer für unser Land wesentlichen Frage als maximal unzuverlässig erwiesen hat. Mich würde es nicht wundern, wenn in den nächsten Tagen oder Wochen der Bayerische Ministerpräsident beiläufig erklären würde, dass er selbst, falls Friedrich Merz bei der Kanzlerwahl wider Erwarten die Unterstützung der deutschen Sozialdemokratie nicht bekommen sollte, natürlich weiterhin bereitstünde. Und jawohl, er würde es sich auch unverändert zutrauen… Das hieße dann aber fürwahr den Teufel mit dem Belzebub austreiben…