Auf nach Eisenhüttenstadt!

Die Ausstellung „PURe Visionen“ im Museum Utopie und Alltag

Thomas Claer

Nach Eisenhüttenstadt, das bis 1961 den Namen Stalinstadt trug, wollte ich nie, denn dort musste es, so glaubte ich, ganz furchtbar sein: eine seelenlose Retortenstadt, errichtet in den Fünfzigerjahren irgendwo in der märkischen Pampa für die Arbeiter des EKO, des Eisenhüttenkombinats Ost, und von der DDR-Propaganda zur sozialistischen Musterstadt überhöht. Ohne mich für weitere Einzelheiten zu interessieren, stellte ich mir Eisenhüttenstadt bisher mein Leben lang als eine Art graue Betonwüste vor mit Hochhäusern im Brutaismus-Stil. Aber es empfiehlt sich immer, die eigenen Vorurteile auch einmal vor Ort zu überprüfen. Tatsächlich ist Eisenhüttenstadt nämlich, was ich nie für möglich gehalten hätte, ein architektonisches Juwel. Hochhäuser gibt es dort in Wirklichkeit keine, stattdessen überall top sanierte und wunderbar farbenfroh herausgeputzte Fünfgeschosser im Zuckerbäcker-Stil, die keineswegs an die triste Marzahner Allee der Kosmonauten erinnern, sondern vielmehr an die prächtige Karl-Marx-Allee in Berlin-Mitte und Friedrichhain.

Nur die Anbindung nach und von Berlin aus lässt zu wünschen übrig. Unser Zug nach Frankfurt an der Oder hatte so getrödelt, dass wir dort den Anschlusszug nach Eisenhüttenstadt verpassten und eine geschagene Stunde bis zum nächsten ausharren mussten. Auf Entschuldigungen oder auch nur erklärende Lautsprecherdurchsagen auf dem Frankfurter Bahnhof warteten wir leider vergeblich. Doch wer sich schließlich bis Eisenhüttenstadt durchgekämpft hat, wird reichlich entschädigt. Natürlich ist es dort wie überall sonst in der ostdeutschen Provinz: Es hat seit 1990 eine starke Abwanderung gegeben. Die Zurückgebliebenen maulen und schimpfen auf den Westen, wählen AfD und BSW. Doch trotz allem hat diese Stadt ihre beinahe magische Aura behalten (oder zumindest diese infolge der umfassenden Wiederaufbauarbeiten der letzten Jahre wieder vollständig zurückerlangt). Noch sieben Dekaden nach seiner Errichtung innerhalb weniger Jahre atmet Eisenhüttenstdt den sehr besonderen Charme des ewig Experimentellen.

Das „Museum Utopie und Alltag“, das allerhand stilprägende Gegenstände aus der DDR beherbergt, befindet sich in einem früheren Kindergarten, der nach den aufgestellten Erkärungsschildern ein ganz außergewöhnlicher gewesen sein muss. Bei aller Kritik am totäliär-ideologischen Hintergrund sollte doch niemand den emphatischen Aufbruchsgeist der frühen Nachkriegszeit auch im sozialistischen deutschen Teilstaat unterschätzen. Hier waren großartige Architekten am Werk, vermutlich von echter idealistischer Begeisterung getragen, die alles, was ihnen zur Verfügung stand, in die Waagschale warfen. Das seit den Siebzigerjahren immer mehr um sich greifende realsozialistische Frustrations- und Erschöpfungssyndrom war zu jener frühen DDR-Zeit offenbar noch weit weg.

Dass die Deutsche Demokratische Republik aber auch noch in ihren letzten beiden Lebensjahrzehnten mitunter Beachtliches hervorgebracht hat, zeigt die besonders sehenswerte Sonderausstellung „PURe Visionen“, die sich ostdeutschen Design-Klassikern vom „Känguruh-Stuhl“ bis zum „Garten-Ei“ widmet und deren jeweilige Entstehungsgeschichte beleuchtet. Überraschenderweise haben viele dieser formgestalterischen Besonderheiten einen Ost-West-Hintergrund, wie er in jenen Jahren der Entspannungspolitik und vielfältigen systemübergreifenden deutsch-deutschen Kooperationen durchaus häufiger vorgekommen ist. So macht man sich letztendlich voller bewegender Eindrücke auf den Heimweg nach Berlin und ist froh darüber, das eigene bislang so grotesk ungerechte Bild von Eisenhüttenstadt nun endlich einmal substantiell korrigiert zu haben.

PURe Visionen
Sonderausstellung im Museum Utopie und Alltag
Erich-Weinert-Allee 3, 15890 Eisenhüttenstadt
Noch bis 30. März 2025
Eintritt: 4,00 Euro (ermäßigt 2,00 Euro)

Veröffentlicht von on März 17th, 2025 und gespeichert unter DRUM HERUM, SONSTIGES. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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