Daniel Thym legt einen wichtigen Beitrag zur Debatte vor
Matthias Wiemers
Der Konstanzer Staats- und Völkerrechtler Daniel Thym hat sich in den letzten Jahren zu einem „der“ Experten des Migrationsrechts in Deutschland entwickelt. Sein Rat ist gefragt, und er bewegt sich eindeutig im gesellschaftlichen Mainstream. Und hier genau muss die Einsicht wachsen, dass ein ähnliches Vorgehen wie Anfang der 1990er Jahre bei Einführung des (stilistisch entsetzlichen) Artikel 16 a GG erforderlich ist. Und der Autor Daniel Thym hat erkannt, dass er hierzu einen Beitrag leisten muss, seine Expertise für eine gesellschaftliche Debatte zur Verfügung stellen muss. Und welches Buchformat bietet sich da gegenwärtig mehr an als die „Edition Mercator“ im Verlag C. H. Beck?
Bereits im ersten der sieben Kapitel spricht sich der Autor für eine Debatte in der Mitte der Gesellschaft aus und bezeichnet die Mitte als „nicht langweilig“. Für die alternde Gesellschaft sei die Fachkräftezuwanderung eine wirtschaftliche Überlebensfrage (S. 13). Hier wird zwar nicht genau darauf eingegangen, ob die Fachkräfte schon ausgebildet sein müssen oder nur die Ausbildungsbereitschaft mitbringen, aber an der Stelle trifft natürlich die Feststellung zu. Im zweiten Kapitel über „Einwanderungsland ist kein Schönwetterbegriff“ wird vor allem ein Blick auf die historische Entwicklung, aber auch gegenwärtige Tatsachen geworfen, wobei deutlich wird, dass das Einwanderungsgeschehen allen Beteiligten viel abverlangt. Wichtig erscheint die Feststellung, dass die Migrationsrouten über Italien, Griechenland und Spanien keine „kommunizierenden Röhren“ seien, wo die Migrationsströme gegeneinander umgeleitet werden (S. 31). Grundsätzlich kommen danach über die unterschiedlichen Routen auch unterschiedliche Migranten.
Auch stellt Thym fest, es reiche nicht, eine „Umlenkung“ der irregulären Asylmigration zur legalen Fachkräfteeinwanderung zu bewirken, wenn viele Asylbewerber geringqualifiziert seien (S.32, S. 40). Nimmt man diese Feststellung, so geht Thym offenbar davon aus, dass (nach wie vor) eine bereits vorhandene Qualifikation bei den Zuwanderern vorliegen muss. (Was er nicht erwähnt, ist das Paradoxon, dass man eigentlich davon ausgehen muss, dass eher diejenigen Personen politisch verfolgt werden, die eben qualifiziert sind und deshalb Widerspruch gegen Regierungspraktiken ihres Heimatlandes erheben.)
Ein wichtiger Hinweis besteht aber darin, dass die Regierung Kohl seinerzeit die kulturelle Eigenständigkeit der Ausländer habe respektieren wollen und damit gerade das „multikulturelle Nebeneinander“ gefördert hätten, das CDU/CSU und FDP heute kritisierten (S. 33).
Es sei überfällig gewesen, dass die Ampelregierung die Bundesrepublik in ihrem Koalitionsvertrag als „modernes Einwanderungsland“ bezeichnet habe (S. 37).
Das Buch erhebt den Anspruch, einen gedanklichen Kompass und einen Instrumentenkasten mit praxistauglichen Maßnahmen bereitzustellen.
Im dritten Kapitel beschriebt Thym, wie sich die Zuwanderung namentlich der letzten Jahre auf die Wirtschaft ausgewirkt hat. Auch hier finden wir wieder den Hinweis, dass Asylbewerber häufig geringqualifiziert seien. Interessant erscheint der Hinweis, dass die Bulgarische Hauptstadt Sofia inzwischen von Rückwanderung aus Deutschland profitiere („Pendelmigration“, S. 45). Es werden auch die „Idealzuwanderer“ beschrieben als diejenigen, die jung nach Deutschland kommen, um hier zu studieren oder eine Ausbildung zu machen (S. 46), aber es wird auch deutlich, dass es inzwischen auch in anderen Teilen der Welt Möglichkeiten zu Studium und Berufsausbildung gibt (S. 48 f).
Davon abgesetzt, aber im selben Kapitel, wird dargestellt, dass die Asylmigration einer anderen Dynamik folge (S. 52 ff.). Dies ist sicherlich richtig, gleichwohl wäre hier wohl ein eigenes Kapitel sinnvoll gewesen. Hier geht es u. a. auch um die Frage der Kooperationsbereitschaft der Herkunftsländer bei möglichen Abschiebungen. Zu recht plädiert der Autor dafür, dass etwa die Mindestgehaltsanforderungen für die Anerkennung als Fachkraft bei kooperationsbereiten Herkunftsländern herabgesenkt werden könnte (S. 56). (Gleichwohl wird der Leser das Gefühl nicht los, warum eigentlich Herkunftsländer, denen mittelbar vorgeworfen wird, sie hätten ihre Staatsbürger politisch verfolgt, diese dann wieder zurücknehmen sollten.)
Die Westbalkanregelung wird in diesem Zusammenhang als funktionierender Kooperationsmechanismus mit Herkunftsländern dargestellt (S. 57).
Zu unterstreichen ist sicher die Feststellung, dass ein großzügiger Wohlfahrtsaat und offene Grenzen auf Dauer nicht zusammenpassen (S. 68, S. 131). Thym tritt beispielsweise auch für die Einführung von Bezahlkarten ein (S. 69).
Im vierten Kapitel wird das bestehende Asylsystem mit seinen insgesamt vier Stufen („konzentrische Kreise“) erklärt. Nordafrikanische Staaten werden als „Türsteher Europas“ bezeichnet, weil sie Migration von Schwarzafrikanern nach Europa verhindern und das Kapitel endet mit dem Satz: „Wir präsentieren uns nach innen als die Guten und zeigen nach außen unser hartes Gesicht“ (S. 121). Wohl wahr, und einer der Gründe, warum das „Türsteher-Modell“ zwischenzeitlich nicht mehr so gut funktionierte, war wohl seinerzeit der Sturz Gaddafis in Libyen.
Im fünften Kapitel widmet sich der Autor dem Thema „Moral und Eigeninteresse. Wie beides zusammenpasst“, und eine Passage zu Beginn sei hier gleich als passend zitiert: „Der demokratischen Mitte ist der Kompass abhandengekommen, wohin die Reise gehen soll. Vor allem in der Asylpolitik fehlt ein praxistaugliches Konzept. Bei dessen Identifikation besteht die zentrale Herausforderung für die wissenschaftliche Analyse und die politische Kommunikation darin, die notwendige Klarheit zu erreichen, ohne einfache Lösungen vorzugaukeln.“ (S.122). Alle Lösungen müßten praktisch funktionieren und theoretisch überzeugen, weil sie Moral und Eigeninteresse zusammenführen. Sonst wählten die Menschen „das Original“ – womit jeder Leser wissen kann, dass damit die AfD gemeint ist (S. 123).
Thym arbeitet hier vor allem das oftmals so genannte „Asylparadox“ heraus, dass man nämlich ein Flüchtlingsrecht postuliert und dann Schutzberechtigte daran hindert, dieses wahrzunehmen. Denn die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 habe nur für Flüchtlinge aus Europa gegolten, die bereits in einem anderen Land lebten, enthalte aber keine Blankovollmacht für einen geographisch und zeitlich schrankenlosen Flüchtlingsschutz (S. 133). Man könnte hier also sagen, dass GFK wie Art 16 Abs 3 GG bzw. heute Art. 16 a GG Kriegsfolgenrecht nach dem Zweiten Weltkrieg waren, nicht aber etwa Folgenrecht der Kolonisation.
Die Europäisierung der Migrationspolitik habe den klassischen Asylzielstaaten wie Deutschland und Dänemark als Vehikel gedient, um neue Kontrollinstrumente einzuführen (S. 136).
Im sechsten Kapitel weitet der Autor den Blick von der Integration zum gesellschaftlichen Zusammenhalt. Hier geht es viel um die Frage, wie man mit anderen Menschen in unserer Gesellschaft kommuniziert. Ein sicherlich zentraler Satz lautet: „Wir müssen versuchen, uns in unsere Mitmenschen hineinzuversetzen und die Welt einmal mit deren Augen zu betrachten“ (S. 187).
Das finale Kapitel mit dem Titel „Einwanderungsrepublik Deutschland“ enthält insgesamt acht abschließende Thesen, was nach Meinung des Autors geschehen sollte („Leitplanken für einen migrationspolitischen Paradigmenwechsel“), die allesamt der Diskussion würdig sind.
Ein wertvoller Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte, der auch von denen wahrgenommen werden sollte, die bislang meinen, mit ihrem Kreuz auf dem Wahlzettel für eine migrationsoffene Partei sei den Menschen bereits geholfen.
Das Buch sollte aber auch von Verantwortlichen der neuen Regierungskoalition im Bund gelesen werden.
Daniel Thym
Migration steuern. Eine Anleitung für das Hier und Jetzt
Verlag C.H. Beck, 2025
237 Seiten; Klappenbroschur; 16,00 Euro
ISBN: 978-3-406-83012-9