Digital und analog

Peter Plöger über „Arbeitssammler, Jobnomaden und Berufsartisten“

Thomas Claer

lit-tc-empf-ploger-arbeitssammlerMal wieder ein Buch über das akademische Freiberufler-Prekariat also. Umfassend beschrieben und dabei zugleich romantisiert und bejubelt wurde das Phänomen, wir erinnern uns, im Jahr 2006 von Holm Friebe und Sascha Lobo in ihrem Buch „Sie nennen es Arbeit“, mit dem die Autoren damals durch die Fernseh-Talkshows tingelten. Bis heute wird munter darüber debattiert, ob das mit dem „intelligenten Leben jenseits der Festanstellung“ so wirklich funktionieren kann oder ob sich  – wie Kritiker meinen – die digitale oder auch analoge Großstadtboheme ihre oft genug verzweifelte ökonomische Lage nur schönredet. Nun geht Autor Peter Plöger, selbst eine junge kreative Ich-AG, in seiner Studie über „Arbeitssammler, Jobnomaden und Berufsartisten“ einen Mittelweg zwischen larmoyanter Klage über die ungerechten Verhältnisse und stolzer Selbststilisierung der Betroffenen, kann sich aber nicht so recht für die eine oder die andere Richtung entscheiden. In zahlreichen Porträts beschreibt er das Leben von typischen Vertretern des akademischen Freiberuflertums, die sich auf unterschiedlichste Weise, idealerweise ihren Neigungen folgend, aber stets sehr mühsam beruflich über Wasser halten. Dabei erstellt er eine „kleine Typologie der Arbeitssammler“, die er in Parallelarbeiter (zwei Tage Teilzeit hier, drei Tage freie Mitarbeit dort, daneben Gelegenheitsaufträge), Wechsler (heute hier, morgen dort), Brotjobber (können vom Neigungsberuf allein nicht leben und ergänzen diesen durch unterqualifizierte Jobs, die aber mehr einbringen), Rigorose (halten bedingungslos am Neigungsberuf fest und laufen Gefahr zu verhungern) und Proteen (völlig ungeplante und unplanbare Berufsbiographie) einteilt.
Es werden u.a. Webdisigner, PR-Texter, Mediatoren, Journalisten, IT-Spezialisten, Lebensmitteltechnologen und Bildhauer vorgestellt. Die meisten sind zwischen 30 und 45 Jahre alt. Juristen kommen zwar im Buch nicht ausdrücklich vor, doch gibt es unter ihnen, wie jeder weiß, natürlich auch nicht wenige „Arbeitssammler“, vor allem unter den jüngeren, aber sie sind zumeist bemüht, es nicht so an die große Glocke zu hängen.
Auffällig ist, beim Verfasser deutlich stärker als bei den Porträtierten, eine leicht anklagende Grundhaltung, die bereits in der Unterzeile des Buchtitels „Viel gelernt und nichts gewonnen?“ ihren Ausdruck findet. Im Vorwort beschreibt Plöger dann, wie wenig Gültigkeit heute die Weisheiten der Großeltern- und Elterngeneration besitzen, dass aus einem schon etwas werden würde, wenn man nur einen „anständigen Beruf“ erlerne. Die Kränkung, dass dem nicht mehr unbedingt so ist, man spürt es, sitzt auch bei Plöger tief. Und selbstverständlich erscheint es zigtausenden Eltern als schlimme Fehlinvestition, wenn sie ihre längst erwachsenen Sprösslinge nach langem Studium statt in einer gut bezahlten Festanstellung in einer freien und unsicheren Existenz wieder finden und diese sich dafür womöglich noch nicht einmal schämen (das tun die Eltern dafür umso mehr). So etwas auszuhalten, gehört neben den vielen anderen Unwägbarkeiten eben auch zu den Herausforderungen des akademischen Freiberuflertums. Doch was heißt hier, die „Arbeitssammler“ hätten nichts gewonnen? Wer seinen Interessen und Neigungen folgt und sich nicht nur stromlinienförmig am Markt orientiert, wer es auf eigene Faust probiert statt sich vom Arbeitsamt verwalten zu lassen, der wird vielleicht nicht gerade steinreich, doch erspart er sich so manche psychische Deformierung und wird allemal ein selbstbestimmteres, nicht selten auch ein interessanteres Leben führen. Kleinmut ist hier jedenfalls gänzlich fehl am Platze! Ist es denn etwa kein Wert an sich, lieber ein kleiner Herr als ein großer Knecht zu sein? Und was ist schon eine Doppelhaushälfte in einer baden-württembergischen Kleinstadt gegen eine Verabredung in einem coolen Cafe in Berlin-Kreuzberg? Einen großen Wurf mag man dieses Buch vielleicht nicht gerade nennen, aber es zeigt doch Facetten einer sich zunehmend verbreitenden Existenzform auf, deren Vertreter sich von niemandem bemitleiden lassen sollten.

Peter Plöger
Arbeitssammler, Jobnomaden und Berufsartisten. Viel gelernt und nichts gewonnen? Das Paradox der neuen Arbeitswelt
Hanser Verlag München 2010
250 Seiten, EUR 19,90
ISBN 978-3-446-41767-0

Veröffentlicht von on Nov 22nd, 2010 und gespeichert unter DR. CLAER EMPFIEHLT. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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