Umfangreiche Neuregelung durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz
Oliver Niekiel
Die Möglichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige ist eine Besonderheit des Steuerstrafrechts. § 371 AO als insoweit zentrale Bestimmung hat durch das sogenannte Schwarzgeldbekämpfungsgesetz (BGBl. I 2011, 676) zahlreiche Änderungen erfahren. Vorausgegangen war eine Entscheidung des BGH. Dessen erster Strafsenat äußerte sich am 20. Mai 2010 (NJW 2010, 2146 ff.) in einem obiter dictum zur Möglichkeit der – bis dahin unstreitig möglichen – Teilselbstanzeige. Er führte aus, dass eine Rückkehr zur Steuerehrlichkeit nur dann gegeben sei, wenn der Täter vollständige und richtige Angaben – mithin „reinen Tisch“ – mache. Erst dann liege eine strafbefreiende Selbstanzeige vor. Bis zu dieser Entscheidung war es denkbar, nur einen Teil der verschwiegenen Einkünfte zu offenbaren und insoweit Straffreiheit zu erlangen. Dem hat auch der Gesetzgeber – wenn auch eingeschränkt – einen Riegel vorgeschoben. § 371 Abs. 1 AO hat nunmehr folgenden Wortlaut: „Wer gegenüber der Finanzbehörde zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt, wird wegen dieser Straftaten nicht nach § 370 AO bestraft“. Voraussetzung ist immer auch, dass die hinterzogenen Steuern binnen angemessener Frist nachentrichtet werden (§ 371 Abs. 3 AO).
Erforderlich ist die Offenbarung aller unverjährten Steuerstraftaten. Gemeint ist die strafrechtliche Verjährung (BT-Drs. 17/5067, 21). Dabei gilt Folgendes: Die einfache Steuerhinterziehung verjährt in fünf Jahren (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB), ein besonders schwerer Fall verjährt in zehn Jahren (§ 376 AO). Strafrechtliche Unterbrechungstatbestände (§ 78c StGB) können dazu führen, dass Verjährung erst nach 20 Jahren eintritt (Hunsmann, NJW 2011, 1482, 1483).
Die Selbstanzeige muss alle Steuerstraftaten einer Steuerart erfassen. Es ist daher unschädlich, wenn der Steuerpflichtige die in einem Veranlagungszeitraum verkürzte Einkommensteuer nacherklärt, aber ein zeitgleiches Fehlverhalten im Bereich der Umsatzsteuer verschweigt. Nicht ganz eindeutig ist in diesem Zusammenhang, inwieweit speziell geregelte Steuern eine eigene Steuerart darstellen, ob also etwa die Lohnsteuer als eigene Steuerart angesehen werden kann oder ob sie im Hinblick auf § 371 Abs. 1 AO zur Steuerart Einkommensteuer gehört.
Legt man den Wortlaut des Gesetzes („alle“) zugrunde, sind selbst kleine Differenzen zwischen nacherklärten Sachverhalten und tatsächlich festzusetzenden Steuern schädlich. Bislang haben geringfügige Abweichungen nicht zur Annahme einer bloßen Teilselbstanzeige geführt. Dabei wurden in der Rechtsprechung (vgl. OLG Frankfurt am Main, NJW 1962, 974) Abweichungen von 6% und in der Literatur sogar bis 10% (vgl. Hunsmann, NJW 2011, 1482, 1483 mwN) als geringfügig und somit unschädlich angesehen. Auch aus BT-Drs. 17/5067, S. 21, ergibt sich, dass eine auf Euro und Cent genaue Deckungsgleichheit nicht bestehen muss. Es ist aber zumindest fraglich, ob unter dem Gesichtspunkt des „reinen Tisches“ noch Abweichungen von bis zu 10% anerkannt werden können. Der Gesetzeswortlaut differenziert ebenfalls nicht zwischen der dolos und der undolos unvollständigen Selbstanzeige. Es ist also unklar, wie sich eine versehentlich unvollständie Selbstanzeige auf dessen Wirksamkeit auswirkt.
Die strafbefreiende Selbstanzeige ist im Ergebnis also trotz der umfangreichen gesetzlichen Änderungen sowie der „strengen“ Rechtsprechung des BGH weiterhin ein Mittel, um der strafrechtlichen Verfolgung zu entgehen und/oder das Gewissen zu beruhigen. Unabhängig von den dargestellten Voraussetzungen scheidet eine wirksame Selbstanzeige jedoch dann aus, wenn ein Sperrgrund im Sinne von § 371 Abs. 2 AO vorliegt.
So wirkt die Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung im Sinne von § 196 AO als Sperrgrund (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO). Wenngleich die Fiktion des § 122 Abs. 1 AO auf die Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung unstreitig anzuwenden ist, dürfte dies im Steuerstrafverfahren nicht der Fall sein. Die fiktive Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes kann im Strafverfahren (Beweiswürdigung!) nicht maßgeblich sein. Lediglich eine förmliche Zustellung kann im Zweifel eine entsprechende Beweiskraft entfalten, wird aber in der Praxis vermutlich auch künftig die Ausnahme bilden.
Die Bekanntgabe der Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens ist ein weiterer Sperrgrund (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AO). Insoweit hat sich eine inhaltliche Änderung durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz nicht ergeben. Auch bislang war die Bekanntgabe einer entsprechenden Verfahrenseinleitung ein Hinderungsgrund für eine Selbstanzeige.
Das Erscheinen eines Amtsträgers der Finanzbehörde zur steuerlichen Prüfung oder zur Ermittlung einer Steuerstraftat/-ordnungswidrigkeit ist ebenfalls ein Sperrgrund (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c AO). Auch dies war in der Vergangenheit (Stichwort „Fußmattentheorie“) schon der Fall.
Eine wirksame Selbstanzeige ist ferner dann ausgeschlossen, wenn die Tat bereits entdeckt ist und der Täter dies weiß oder er bei verständiger Würdigung damit rechnen muss (§ 371 Abs. 2 Nr. 2 AO). Eine Änderung hat sich dadurch ergeben, dass die Bestimmung nunmehr von der Entdeckung einer der Steuerstraftaten spricht, während die frühere Rechtslage auf die Entdeckung der Tat abstellte. Es ist daher fraglich, ob durch die Entdeckung einer Tat die Selbstanzeige hinsichtlich aller unverjährten Taten ausgeschlossen ist. Der Wortlaut des Gesetzes lässt die Erstreckung auf alle unverjährten Taten jedenfalls zu.
Schließlich ist eine wirksame Selbstanzeige auch dann ausgeschlossen, wenn die verkürzte Steuer oder der erlangte nicht gerechtfertigte Steuervorteil einen Betrag von 50.000,00 Euro je Tat übersteigt (§ 371 Abs. 2 Nr. 3 AO). In diesem Zusammenhang ist der völlig neue § 398a AO zu beachten. Danach wird von der Verfolgung der Steuerstraftat abgesehen, wenn der Täter binnen einer angemessenen Frist einen fünfprozentigen Zuschlag auf die hinterzogenen Steuern an die Staatskasse zahlt. Die Bestimmung wirft zahlreiche Frage auf. So ist das Verhältnis zu den §§ 153, 153a StPO unklar. Ebenso ist fraglich, durch wen, in welcher Form und wann die Einstellung vorzunehmen ist. Schließlich stellt sich die Frage nach der Möglichkeit einer späteren Wiederaufnahme des Verfahrens (Stichwort Strafklageverbrauch).
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass das Recht der strafbefreienden Selbstanzeige gravierende Änderungen erfahren hat. Diese Änderungen werfen zahlreiche Fragen auf, die der Klärung durch die Gerichte bedürfen. Ebenfalls abzuwarten bleibt, wie sich die Neuregelung auf das Selbstanzeigeverhalten der betroffenen Personen auswirkt.