„Wir sind Opfer in der zweiten Reihe“

Volkes Meinung macht Strafverteidiger gern zu Komplizen der Angeklagten. Das erfährt der Anwalt des Kindsmörders Magnus Gäfgen, Michael Heuchemer, fast täglich. Doch er tut nur seinen Job: Er sorgt als Organ der Rechtspflege dafür, dass sein Mandant fair behandelt wird.

Benedikt Vallendar

und-danach-vallendar-heuchemer43Schwalmstadt / Ziegenhain – Mit leisem Brummen öffnet sich die zentimeterdicke Stahltür. Rote und grüne Neonlichter tauchen den Raum in grelles Licht. Nur schemenhaft sind die Beamten hinter dem blaugrünen Panzerglas zu erkennen. Rechtsanwalt Dr. iur. Michael Heuchemer muss drei Sicherheitsschleusen passieren, wenn er zu seinem Mandanten möchte. Er vertritt den rechtskräftig verurteilten Kindesmörder Magnus Gäfgen, der in der Justizvollzugsanstalt Schwalmstadt einsitzt, weil er im September 2002 den damals elfjährigen Bankierssohn Jakob von Metzler entführt und erstickt hatte. Anschließend hatte Gäfgen von der Familie eine Million Euro erpresst. Kurz nach der Geldübergabe war er von einem Sondereinsatzkommando der Polizei gefasst worden. Gäfgen, zuvor Student an der Goethe-Universität in  Frankfurt am Main, legte noch während der Untersuchungshaft sein erstes Jura-Staatsexamen mit der Gesamtnote „befriedigend“ ab. Zehn Monate später, im Juli 2003, sprach das Frankfurter Landgericht das Urteil: Lebenslänglich mit „besonderer Schwere der Schuld“. Das heißt, vor seinem 50. Geburtstag wird der heute 36-jährige Täter kaum in Freiheit kommen. Doch der Fall ist nicht abgeschlossen. Gäfgen-Anwalt Heuchemer hatte im Juni 2005 beim EGMR eine 200 Seiten starke Beschwerde seines Mandanten eingereicht und im Juni 2010 einen Teilerfolg erzielt. Grundlage der Klage war die Androhung von Foltermethoden bei  Gäfgens Vernehmung durch den damaligen Frankfurter Vize-Polizeipräsidenten Wolfgang Daschner; der hatte geglaubt, Jakob von Metzler befinde sich noch am Leben und könne so gerettet werden. Die Beschwerde, so der EGMR, war zulässig, eine Neuauflage des Prozesses, wie von Gäfgen gefordert, wird es jedoch vorerst nicht geben.  Nun geht es um Schadensersatzforderungen gegenüber dem Land Hessen, wegen der seelischen Misshandlungen, die Gäfgen angeblich während seiner polizeilichen Vernehmung erlitten hat. Anwalt Heuchemer hat sich mit dem Gäfgen-Mandat eine gewisse Publicity und große Probleme eingehandelt: anonyme Morddrohungen, hämische Zuschriften und verbale Attacken, manche sogar von Kollegen. Kürzlich wurde ihm ein Zeitungsausschnitt zugeschickt, der mit Bemerkungen wie „Sie sollten sich schämen, Steuergelder zu vergeuden“ versehen war. Das war noch harmlos. Ein anderer Kommentator forderte gar ein „Lebensbeendigungsgesetz“ für „unverbesserliche Rechtsanwälte“ vom Schlage Heuchemers.

Der Wut ausgesetzt

„Ich tue nur meine Pflicht“, betont der Jurist, der, schwarzes Sakko und Krawatte, eher wie der Zögling eines englischen Eliteinternats wirkt. Dass Gäfgen zu Recht hart verurteilt wurde, stehe außer Frage: „Er hat in der Situation grausam versagt.“ Als gläubiger Katholik sieht Michael Heuchemer seine Arbeit jedoch nicht nur unter juristischen Aspekten. „Auch Christus hat sich mit Sündern an einen Tisch gesetzt“, sagt er. Manchmal hat er das Gefühl, „mit dem Rücken an der Wand zu stehen“, bekennt er. Dennoch habe er die Übernahme des Mandats keine Sekunde bereut. „Es geht um Gerechtigkeit, es geht um Fairness und die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens. Und es geht um das Folterverbot, dessen absolute Geltung jedem an  Recht und Gesetz glaubenden Juristen ein zentraler Wert sein muss.“
Das Sicherheitsprozedere in der JVA Schwalmstadt gleicht den verschärften Kontrollen an Flughäfen: elektronische Schleusen, Überwachungskameras, Bewegungssensoren. „Jetzt noch schnell etwas Süßes“, sagt Heuchemer nach der letzten Schleuse und zieht für seinen Mandanten aus dem anstaltseigenen Süßwarenautomaten ein paar Schokoriegel. „Die Häftlinge dürfen den Automaten nicht benutzen,  und Schokolade ist für sie etwas Besonderes“, erklärt er lächelnd.

Heuchemer, 35 Jahre alt, kann bereits eine beeindruckende juristische Karriere vorweisen. Von 1996 bis 2002 studierte der Einser-Abiturient Rechtswissenschaften in Bonn und Oxford. Heute hat der Selfmademan eine gut gehende Kanzlei. Unternehmer, Versicherungen und Geschäftsleute gehören zu seinen Mandanten. Zwischen den beiden Prädikatsexamina promovierte er bei dem Regensburger Rechtsgelehrten Bernd von Heintschel-Heinegg mit der Note „summa cum laude“. Zwei Jahre lang war er wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der renommierten Großkanzlei Clifford Chance in Frankfurt am Main. Ein Neuling noch, und schon ein spektakulärer Fall. Heuchemer muss sich die öffentliche Frage gefallen lassen, ob es ihm „um rasche Bekanntheit“ gehe. Er kontert damit, dass es Teil seiner Lebensphilosophie sei, „den aus der Gesellschaft Ausgegrenzten“ zu helfen.

Auch die Bundesregierung, vertreten durch das Justizministerium, musste sich zu den Foltervorwürfen gegen den früheren Frankfurter Vize-Polizeichef Daschner äußern. „Durch ein Urteil“, erklärt Michael Heuchemer bestimmt, wollte ich bescheinigt bekommen, dass die Bundesrepublik Deutschland gegenüber meinem Mandanten die Garantie des Folterverbots massiv verletzt hat, die in Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention verbürgt ist.“

Magnus Gäfgen war mit seinen Eingaben beim Bundesgerichtshof und beim Bundesverfassungsgericht, beide 2004, gescheitert. Der erste „Erfolg“ ist das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 1. Juni 2010. „Seither“, so Heuchemer, „kocht bei einigen die Wut so richtig hoch.“ Beispielsweise reagierte ein Berliner Richter in Leserbriefen auf einen „Tagesspiegel“-Artikel so scharf, dass er sich dafür zivilrechtlich verantworten musste. Die Empörung schoss wieder hoch, als Magnus Gäfgen sein Buch „Allein mit Gott. Der Weg zurück“ veröffentlichte, eine dokumentarische Auseinandersetzung mit sich und seiner Tat. Die „Bild“-Zeitung titelte „Kindermörder schreibt Jammer-Buch“ und erwähnte im Artikel auch Heuchemers Namen. Seitdem reißen die anonymen Drohungen gegen ihn nicht ab. „Viele Menschen ertragen das Erscheinen des Buches nicht“, sagt er. Dabei gehe es Gäfgen um „Reue und Umkehr“. Die Erlöse des Buches sollen einem wohltätigen Zweck zufließen.

Heuchemer hat sein Büro in einem Zweifamilienhaus in Bendorf bei Koblenz. In Treppenhaus und Flur stapeln sich Gesetzeskommentare und juristische Fachzeitschriften. Das Obergeschoss ist zur Kanzlei umgebaut. Das Interieur gleicht einer Mischung aus Antiquitätenladen und moderner Bürotechnik: wertvolle Möbel, ein riesiger Samowar, daneben die supermoderne Hi-Fi-Anlage, Laptop, Flachbildschirm. Heuchemer hat ein Faible für Altes und Edles, gesteht er. In der Garage des Weinsammlers steht ein Rolls-Royce Silver Shadow, Baujahr 1973, in Oxfordgrünmetallic und weißem Leder.

Anwalt Heuchemer ist kein Einzelfall. Immer häufiger geraten Strafverteidiger in die Schusslinie der Öffentlichkeit, insbesondere dann, wenn sie es mit spektakulären und besonders grausamen Verbrechen zu tun haben. Er hat vorsorglich einen „wichtigen Hinweis“ auf seiner Internetseite plaziert: Beleidungen oder Drohungen mit strafbarem Inhalt würden „ohne jede Ausnahme und ohne jede Vorwarnung  strafrechtliche und zivilrechtliche Verfolgung auslösen“.

„Wir sind oft Opfer in der zweiten Reihe“, sagt die spanische Anwältin Isabel Añino Granados, die auch in Deutschland tätig war. Strafverteidiger sehen selbstverständlich das Unrecht und die Opfer, sie müssen aber alle positiven Argumente für ihren Mandanten geltend machen „Die Leute lassen an uns ihre Wut aus.“

Strafverteidiger tun das, was der Gesetzgeber von ihnen verlangt. Sie sorgen als „Organ der Rechtspflege“ gemäß Paragraf 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung dafür, dass Menschen, die straffällig geworden sind, ein faires Verfahren bekommen und die Möglichkeit haben, sich mithilfe eines juristischen Beistands im Gesetzesdschungel  zurechtzufinden. „Es wäre konsequent, wenn diejenigen, die uns für unsere Arbeit angreifen, gleichzeitig die Rechtsordnung des Landes infrage stellten“, erklärt Granados. Es sei zwar emotional nachvollziehbar, dass die Volksseele kocht, etwa wenn es sich um Verbrechen an Kindern handelt. „Aber mehr als ,lebenslanges Einsperren‘ hat der Gesetzgeber als Höchststrafe nicht vorgesehen. Viele würden unsere Mandanten am liebsten gleich an die Wand stellen.“

Familie unter Polizeischutz

Auch die Familien von Strafverteidigern haben unter fehlgerichteten Aggressionen zu leiden. Beispielsweise mussten die Kinder von Ulrich Endres, der Gäfgen im Mordprozess verteidigt hatte, unter Polizeischutz gestellt werden. Morgens brachten Beamte sie in die Schule, und auf dem Schulhof war immer ein Zivilbeamter in der Nähe, um die Kinder vor möglichen Übergriffen zu schützen.

Was es heißt, als Strafverteidiger zu arbeiten, bekamen auch die Anwälte der inzwischen verurteilten Kindermörder Markus Lewendel und Markus Wirtz vor dem Aachener Landgericht zu spüren. „Die Anwälte pöbeln gegen die Schutzmaßnahmen mit dem Panzerglas“, kommentierte die „Bild“-Zeitung den Antrag der Verteidigung,  den Angeklagten in der Verhandlung einen halbwegs angemessenen räumlichen Rahmen zu schaffen.

Gefährlich leben Anwälte, wenn Straftaten krimineller Banden verhandelt werden. So wurde auf einen am Landgericht Koblenz tätigen Strafverteidiger während der Verhandlung durch die geschlossene Tür des Verhandlungssaals geschossen. Das Projektil schlug in der Verteidigerbank ein, der Jurist blieb unverletzt. Bis heute sind der oder die Täter flüchtig.

Grober Missbrauch

„Wir dürfen Übergriffe gegen Anwälte in Form von Sachbeschädigung oder Bedrohung nicht hinnehmen“, betont der Münchner Richter Friedrich Albrecht. Dies könne zu einem Klima führen, in dem sich verantwortungsvolle Strafverteidiger zurückziehen und das Feld solchen Kollegen überlassen, die sich der Rechtsstaat nicht wünschen kann. Ein extremes Beispiel war der Stammheim-Prozess Mitte der siebziger Jahre gegen RAF-Mitglieder; damals hatten Anwälte ihre Stellung als Strafverteidiger gröblich missbraucht.

Die verfassungsmäßige Garantie auf Verteidigung verbietet es, Anwälte als „Helfer“ der von ihnen verteidigten Verbrecher anzusehen; das gilt auch, wenn es sich um Kriegsverbrecher, Kinderschänder oder andere Kriminelle handelt. Es liegt, so Richter Albrecht, im Interesse der Allgemeinheit, dass jedem Bürger das Recht zusteht, in Strafprozessen professionell verteidigt zu werden. Jeder muss darauf vertrauen können, staatlichen Strafansprüchen nicht wehrlos ausgeliefert zu sein. Auch dann nicht, wenn Volkes Meinung das Urteil längst gefällt hat.

Foto: Vallendar

Veröffentlicht von on Okt 31st, 2011 und gespeichert unter DRUM HERUM, SONSTIGES, UND DANACH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

1 Antwort for “„Wir sind Opfer in der zweiten Reihe“”

  1. Florian W. sagt:

    Leider wird häufig vergessen, dass die Rolle des Strafvertreidigers nicht darin besteht, die dem Angeklagten vorgeworfene Tat zu „verteidigen“, sondern die strafprozessualen Rechte des Angeklagten zu wahren. Man sollte dann mal einen Blick in Länder werfen, in denen es keinen Rechtsstaat gibt.

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