Ein Sammelband über „Die Deutschen und das Bundesverfassungsgericht“
Matthias Wiemers
Das Bundesverfassungsgericht hat keine Kammern, sondern bekanntlich (genau zwei) Senate, und auch am Untertitel kann man Kritik üben: Dort stellt sich bei Lektüre des kürzlich von Michael Stolleis herausgegebenen Buchs heraus, dass es nicht etwa im Schwerpunkt von Empirie handelt und weiterhin gleich mehrere Autoren des Auslands schreiben. In gewisser Weise könnte man insofern von irreführender Etikettierung sprechen, aber der Titel reizt immerhin dazu, das Buch einmal in die Hand zu nehmen. Die 18 Beiträge sehr unterschiedlicher Autoren sind von unterschiedlicher Güte, weisen aber ein doch recht breites Themenspektrum auf. Als „etwas abgefahren“ mag man sogleich den ersten Beitrag einstufen (Horst Bredekamp, Politische Ikonologie des Grundgesetzes), doch ist grade dieser als besonders gelungen zu betrachten (Der Autor ist Kunsthistoriker). Einige Beiträge blicken sowohl aus historischer wie (verfassungs-)rechtlicher Perspektive vom Ausland auf das Bundesverfassungsgericht (Etienne Francois, Das Bundesverfassungsgericht und die deutsche Rechtskultur: Ein Blick aus Frankreich, Olivier Jouanjan, Conseil constitutionel und Bundesverfassungsgericht: zwei verschiedene Modelle der europäischen Verfassungsgerichtsbarkeit; Laszlo Solyom, Worte des Hörers; Andrey Zoll, Verfassungsrichter in Polen und in der BRD. Rechtliche Regelungen im Vergleich).
Neben mehreren bekannten Politologen bzw. politischen Philosophen, Historikern und Journalisten (Robert Leicht und Heribert Prantl) sind auch je ein evangelischer und ein katholischer Theologe unter den Autoren (Friedrich-Wilhelm Graf, Kontinuitätsfiktionen und Reinhard Kardinal Marx, No man is an island. Das Bundesverfassungsgericht und die Frage nach der Souveränität in einer globalisierten Welt). Gerade die jeweilige Themenwahl, die kaum streng vorgegeben gewesen sein wird, regt in Bezug auf die einzelnen Autoren mitunter zum Nachdenken an.
Nicht in jedem Beitrag steht das Bundesverfassungsgericht im Vordergrund, sondern manchmal eher das Grundgesetz. Aber genau dies ist es, das im Rahmen eines Resümees gesagt werden kann: Das Grundgesetz ist ohne Verfassungsgericht kaum denkbar, die ausgefeilte Verfassungsgerichtsbarkeit ist – wenn auch erst zwei Jahre später als das Grundgesetz installiert – sozusagen fast ein USP der deutschen Staatsordnung. Dem 60jährigen Verfassungsgerichtsjubiläum ist mit diesem Band ein gewichtiges Kapitel hinzugefügt.
Michael Stolleis (Hrsg.)
Herzkammern der Republik. Die Deutschen und das Bundesverfassungsgericht
Verlag C. H. Beck, München 2011,
297 S., 29.95 Euro
ISBN978-3-406-62377-6