Unbekannte Schöne im Norden Europas

Meine Anwaltsstation in Tallinn

Sarah Thiers

Tallinn? Wo liegt das noch gleich genau? Warum nicht London oder New York? Das sind Fragen mit denen man konfrontiert wird, wenn man plant drei Monate seiner Anwaltsstation in Estlands Hauptstadt zu verbringen.
Estland ist der kleinste und nördlichste der drei baltischen Staaten. Seit 2004 ist Estland Mitglied der EU und bezahlt wird seit dem 01.01.2011 mit dem Euro. Zu Recht wird Tallinn als die unbekannte Schöne in Europas Norden bezeichnet. Schön, weil es wohl kaum eine zweite Stadt gibt in der man Antikes und Modernes so charmant vereint findet und unbekannt, weil seine Existenz wohl noch nicht in das Bewusstsein aller Europäer vorgedrungen ist. Beides waren gute Gründe für mich, diese Stadt und auch Estland entdecken zu wollen. Gut 400.000 Menschen der insgesamt knapp 1,4 Millionen Einwohner Estlands leben in der Hauptstadt Tallinn, die dieses Jahr den Titel „europäische Kulturhauptstadt 2011“ trägt.

Die Kanzlei
Durch eine Anzeige im Internet bin ich auf bnt attorneys-at-law aufmerksam geworden. Meine spontane Neugierde wurde durch Erfahrungsberichte im Netz noch verstärkt. Bereits wenige Tage nachdem ich Lebenslauf und Anschreiben per e-mail an bnt (info.ee@bnt.eu) gesandt hatte, bekam ich die Zusage.
bnt ist eine international tätige Kanzleiengruppe, die in 10 Ländern in Mittel- und Osteuropa vertreten ist. In jedem dieser Länder berät ein internationales Team von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten Mandanten hauptsächlich in Fragen des Steuer- und Wirtschaftsrechts. Das Büro in Estland ist die kleinste bnt-Vertretung und wird von dem finnischen Rechtsanwalt Janne Veneranta geleitet. Außerdem arbeiten in der Kanzlei zwei estnische Rechtanwältinnen und die Büromanagerin und gute Seele der Kanzlei, die wie auch eine der estnischen Rechtsanwältinnen neben Estnisch und Englisch perfekt Deutsch spricht. In diesem Sommer arbeiten außerdem zwei weitere Referendare aus Finnland und Estland in der Kanzlei mit.
Am ersten Tag bekam ich eine eigene bnt e-mail Adresse und wurde schnell in die Kanzleiarbeit eingebunden. Die Aufgaben der Referendare bestehen zum Einen darin, die Rechtsanwälte bei ihrer Arbeit an den Fällen zu unterstützen. Wie ich es aus einer deutschen Kanzlei gewohnt war, mussten Recherchen betrieben, Gutachten erstellt sowie Schreiben an deutsche Mandanten und Gerichte gefertigt werden. Zum Anderen bestand eine meiner Aufgaben darin, Schriftsätze, Formulare und Verträge zu übersetzen oder zu korrigieren. Auch dieser Aufgabenbereich gefiel mir, da ich dadurch meine Englischkenntnisse verbessern konnte und in englischer Rechtsterminologie geschult wurde. Man braucht sich weder um mangelnde Kenntnisse der estnischen Sprache noch um solche des estnischen Rechtssystems zu sorgen. Zum Einen sind die Arbeitssprachen Englisch und Deutsch und zum Anderen ist das estnische Recht dem deutschen sehr ähnlich. Der Umgang in der Kanzlei ist sehr freundschaftlich. So wurde mir schon am ersten Tag das Du angeboten. Bei gemeinsamen Mittagessen und gemeinsamen Ausflügen, wie zum Beispiel einem Segeltörn, mischen sich juristische mit privaten Themen. In dieser positiven Atmosphäre habe ich mich sehr gut aufgehoben gefühlt.

Leben in Tallinn
Mit Hilfe der Büromanagerin fand ich im Vorfeld schnell ein kleines Apartment, lediglich 10 Minuten von der Kanzlei entfernt, von der aus die wunderschöne Altstadt mit ihren verwinkelten Gassen mit wenigen Schritten zu erreichen ist. Das Stadtbild ist geprägt von atemberaubenden Häuserfronten, die so perfekt restauriert sind, dass man den Eindruck hat, sie seien soeben aus einem Bilderbuch entwischt. Hinter jeder Ecke verstecken sich Teile der mittelalterlichen Stadtmauer mit ihren 26 noch erhaltenen roten Türmen.
Mindestens genauso herausgeputzt wie die Häuserfronten der Stadt sind auch ihre Bewohner. Man outet sich – wie ich – direkt als Tourist, wenn man am Wochenende mit Jeans, Sweatshirt und Turnschuhen ausgestattet die Stadt erkunden möchte. Ein solches „Lotteroutfit“ kommt für die estnischen Frauen nicht in Frage. Dem Kopfsteinpflaster zum Trotz prägen High-Heels das Straßenbild. Diese kann man in einem der modernen Einkaufszentren erstehen, die täglich von 9-21 Uhr geöffnet sind.
Tallinn ist zudem ein perfekter Ausgangspunkt für viele Unternehmungen. Tallinn selbst hat in seiner direkten Umgebung schöne Ostseestrände zu bieten. In dem ca. 70 km entfernten Lahemaa Nationalpark kann man die typische Landschaft Nordestlands genießen, sowie alte Herrenhäuser und naturbelassene Strände besuchen. Helsinki ist mit der Fähre in zwei Stunden zu erreichen. Durch das gut ausgebaute Busnetz sind außerdem Wochenendausflüge nach Riga und Vilnius, die Hauptstädte von Lettland und Litauen, und sogar nach Sankt Petersburg kostengünstig möglich. Für einen Besuch in Sankt Petersburg wird ein Visum benötigt, das von Tallinn aus über ein Reisebüro problemlos organisiert werden kann.

Fazit
Um die eingangs aufgeworfene Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten, warum denn eigentlich nicht Tallinn? Ich bin sehr froh, dass ich mich so entschieden habe. Ich hätte es sowohl in Estland als auch bei bnt attorneys-at-law nicht besser antreffen können und meine gesammelten Erfahrungen hätten nirgendwo vielfältiger und spannender sein können als in Tallinn.

Veröffentlicht von on Jan 30th, 2012 und gespeichert unter AUSBILDUNG. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

1 Antwort for “Unbekannte Schöne im Norden Europas”

  1. Kalle sagt:

    Der like Button wuerde sich gut im Blog machen, oder habe ich ihn uebersehen?

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