Vom Cyberbullying bis zum digitalen Suizid

Zwei Berliner Anwälte warnen vor den Gefahren der neuen Medien

Sven Heller

lit-sven-heller-privat-war-gesternNachdem Christian Schertz als Herausgeber 2007 mit „Rufmord und Medienopfer“ Fälle unterschiedlichster Persönlichkeitsrechtsverletzungen in einem Band versammelte, skizziert er nun als Autor, gemeinsam mit Dominik Höch, die Gefahren der „schönen neuen Medienwelt“.

Die Berliner Anwälte lassen den Leser bereits im Titel wissen, dass sie von der Aushöhlung der informationellen Selbstbestimmung halten, nämlich gar nichts. Viel mehr: sie sehen sogar das große Ganze, den gesellschaftlichen Zusammenhalt, durch permanente mediale Verletzungen der Privatsphäre schleichend gefährdet. Dass es die Autoren ernst meinen, nimmt man ihnen ab. Dem „interessierten Leser“, an den sich das Buch richtet, wird aus Praxissicht authentisch verdeutlicht, welche Folgen der Einzelne bei Verletzung seiner Privatsphäre zu erwarten hat (von Mobbing unter Mitschülern über isharegossip.com bis hin zu Suizid, etwa im wohl auf Jahre als Referenzfall für sog. cyberbullying, also Schmähungen im Internet, geltenden Fall Tyler Clementi).

Eingeleitet von einem Plädoyer für die Achtung des Privaten und eines kurzen Abrisses der Geschichte der Privatsphäre, zeichnen die Autoren entlang des gesamten Spektrums aus Print-, TV- und Internetmedien unterschiedlichste Fälle des Kontrollverlusts über die Berichterstattung über die eigene Person nach. Angesichts dieser selbstverschuldeten und unverschuldeten Schicksale kann der Leser oftmals nur den Kopf schütteln, wahlweise über die Dreistigkeit der Medien oder die Naivität der „Medienopfer“, die oftmals Hand in Hand gehen.

Juristen werden bei der Schilderung der Fälle Zumwinkel und Kachelmann aufhorchen. Denn nach dem Berichteten scheint es zumindest nicht ausgeschlossen, dass in Zukunft nicht nur von Seiten der bunten Blätter und schrillen TV-Formate, sondern auch seitens der Strafverfolgungsbehörden, Persönlichkeitsrechtsverletzungen als Mittel zum Zweck, insbesondere um ein bestimmtes, dem Angeklagten nachteiliges Prozessklima zu erzeugen, in Kauf genommen werden könnten.

Dass uns Christian Wulff noch als Liebling der BILD-Zeitung begegnet, ist der Veröffentlichung des Buches im Herbst 2011 geschuldet. Schade. An der in seinem Fall untrennbaren Berichterstattung über teils private, teils mit seinen Ämtern verbundene Vorfälle, hätte der schmale Grat der Duldung von Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigungen berechtigter Berichterstattung exemplarisch dargestellt werden können.

Schertz, Christian/ Höch, Dominik
Privat war gestern. Wie Medien und Internet unsere Werte zerstören
Ullstein Verlag Berlin 2011, 246 S., 19,99 Euro
ISBN 978-3-550-08862-9

Veröffentlicht von on Aug 27th, 2012 und gespeichert unter BESPRECHUNGEN, LITERATUR. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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