Der Klassiker zum Ehebruch

Recht cineastisch, Teil 14: „Anna Karenina“ nach Lew Tolstoi

Thomas Claer

anna-karenina-2012-stills-anna-karenina-by-joe-wright-32234682-940-627„Am Anfang der literarischen Moderne stand der Ehebruch als Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Bindung“, befand unlängst Willi Winkler in der Süddeutschen Zeitung. Und dafür stehen vor allem die drei großen Ehebruchsromane des 19. Jahrhunderts: „Madame Bovary“, „Effi Briest“ und … ja, genau: „Anna Karenina“. Dass sich in ihnen wohlbehütete Ehefrauen, denen es doch eigentlich an nichts fehlt, auf so etwas einlassen, erklärte Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki einmal wie folgt: Zwar seien ihre Ehemänner tüchtige, brave und bis zu einem gewissen Grade sogar verständnisvolle Partner ihrer temperamentvollen Gattinnen. Nur hätten sie einen einzigen Fehler: Sie seien Langweiler. So einfach ist das also. Auf Fürst Alexei Alexandrowitsch Karenin, den Gatten der Anna Karenina, trifft das gewiss noch weniger zu als auf den trockenen Formalisten Instetten oder den mediokren Landarzt Charles Bovary, doch kann er, der ehrgeizige Politiker, der seine Frau nur als Dekoration empfindet, sich der erotisch ausgehungerten Anna schon aus Zeitgründen niemals so widmen wie der Playboy und versierte Verführer Graf Alexei Kirillowitsch Wronski. So nimmt das Unheil seinen Lauf, und der historisch interessierte Jurist erhält tiefe Einblicke in das Familienrecht im Russland des 19. Jahrhunderts.

Doch kann die aktuelle Verfilmung von Joe Wright überhaupt Tolstois großem Gesellschaftstroman aus dem Jahr 1878 gerecht werden? Natürlich nicht, da muss man keine großen Worte drüber verlieren. Das Zusammenschnurren der komplexen Handlung auf 130 Minuten lässt den Film eher als einen Trailer erscheinen, der seine Stärken genau da hat, wo er sich an die Romanvorlage hält. Doch das meiste wird verkürzt und verfälscht, man kann durchaus sagen banalisiert. Keira Nightley spielt ihre Rolle zwar wirklich gut, doch passt sie in ihrer knochigen Strenge schon vom Typ her überhaupt nicht zur Roman-Anna, die im Buch ausdrücklich als „üppig“ beschrieben wird. Schon aus physiognomischen Gründen will hier die ganze Figur nicht recht funktionieren. Das Beste, was sich über diesen Film sagen lässt, ist, dass man ihn sich zum Anlass nehmen kann, wieder oder endlich einmal das Buch zu lesen. Oder sich als Ehemann mehr und besser um seine bessere Hälfte zu bemühen, man kann ja nie wissen…

Anna Karenina
Großbritannien/ Frankreich 2012
Regie: Joe Wright
Drehbuch: Tom Stoppard nach der Romanvorlage von Lew Tolstoi
130 Minuten, FSK: 12
Darsteller: Keira Nightley, Aaron Taylor-Johnson, Jude Law, Kelly Macdonald, Matthew Macfadyen, Alicia Vikander u.v.a.

Veröffentlicht von on Jan. 22nd, 2013 und gespeichert unter DRUM HERUM, RECHT CINEASTISCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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