Bestsellerautor Sebastian Fitzek im Justament-Gespräch (ungekürzt!)
Herr Fitzek, warum haben Sie Jura studiert?
Jura ist ein tolles Studium, ich empfehle es eigentlich allen. Ich selbst bin zum Jurastudium als Notlösung gekommen. Nach dem Abi wusste ich erst einmal gar nicht, was ich machen sollte und habe dann drei Monate Tiermedizin studiert. Die Tiere sind heute noch froh, dass ich nach dem Sezieren des Hundes aufgehört habe!
Dann habe ich das gemacht, was alle meine Freunde studiert haben und weil ich dachte: Jura, das hört sich gut an. Es gibt aber auch noch einen anderen Grund; ursprünglich wollte ich in die Plattenindustrie. Dann habe ich im Handbuch der Musikwirtschaft nachgelesen, was eigentlich all die Leute gemacht haben, die in Plattenfirmen arbeiten und das waren alles Juristen. Ich hätte wahrscheinlich auch im Handbuch der Fleischereiindustrie nachlesen können – das wären sicher auch alles Juristen gewesen!
Was haben Sie am Studium besonders gern gemocht?
Ich habe schnell in den ersten Vorlesungen gemerkt, dass Jura gar kein so trockenes Fach ist wie gedacht. Zivilrecht und Strafrecht fand ich gut, da hatte ich auch sehr gute Professoren, wie zum Beispiel Professor Leenen mit seiner sehr dezidierten Sicht auf den Vertragsabschluss. Nur mit dem Öffentlichen Recht bin ich nie so warm geworden. Das liegt aber vielleicht auch daran, dass ich Berliner bin – da hat man so gar keine Ahnung, was zum Beispiel eine kreisfreie Stadt ist oder andere Begriffe, die im Ö-Recht relevant sind. Auch wenn ich nur das erste Staatsexamen gemacht und danach promoviert habe, habe ich durch dieses Studium das Handwerk der Recherche gelernt. Das ist mir sowohl bei meinem Job im Radio als auch beim Schreiben zugutegekommen. Und ich habe eine Liebe für Geschichten entwickelt. Besonders das Strafrecht hat mich zu meinen späteren Thrillern inspiriert.
Was glauben Sie haben Juristerei und Schriftstellerei gemein?
Ich denke in der Juristerei überzeugt man weniger durch harte Fakten als durch überzeugende Argumente, also durch gute Geschichten. Außerdem hat man – wage ich mal zu behaupten – auch als Jurist immer das Ende im Kopf. Also wenn ich Strafverteidiger bin, dann weiß ich ja, worauf ich hinaus will. Ich versuche zum Beispiel zu beweisen, dass jemand unschuldig ist und dann baue ich mir meinen Fall zurecht, recherchiere, suche nach Quellen, Literatur und Präzedenzurteilen, die meine Meinung belegen – und so ist auch ungefähr beim Geschichtenschreiben.
Wirklich? Wissen Sie denn immer schon den Schluss beim Schreiben?
Ich habe immer eine ungefähre Ahnung. Aber es ist wie bei einer guten Hausarbeit: Man weiß, wo man hinsteuert und während man recherchiert und schreibt, merkt man vielleicht sogar erst im letzten Drittel, ach Du meine Güte, das geht alles irgendwie gar nicht so auf. Und dann fängt man noch einmal von vorne an oder ändert etwas. Schreiben ist ein Puzzlespiel mit Worten. Und weil sowohl Juristen als auch Schriftsteller mit dem Wort überzeugen müssen, sind wahrscheinlich so viele Juristen Schriftsteller.
Was würden Sie einem Jurastudierenden mit auf den Weg durch den Paragrafendschungel geben?
Ich habe den Freischuss damals gemacht und das hat mir schon sehr geholfen. Und ich hatte eine Lerngruppe, in der alle bessere waren als ich. Das hilft sehr. Wir waren zu dritt; der eine ist nun erfolgreicher Unternehmer, der andere Professor und hat als einziger damals eine Eins gemacht. Ich hätte auch nie und nimmer mit „gut“ abgeschlossen, wenn die anderen mich nicht mitgerissen hätten. Und wir haben vor dem Examen jede Möglichkeit genutzt, Probeklausuren zu schreiben. Das beruhigt und trainiert. Man sollte Jura tatsächlich so begreifen wie eine Sprache: Wenn ich in Spanien ausgesetzt werde, dann komme ich mit ein paar Brocken gut hin und kann mich halbwegs verständlich machen. Aber es werden mir viele Worte fehlen und ich werde mich nie so ausdrücken können, wie ein Muttersprachler. Und ich glaube, genau in dieser Situation ist man kurz vor dem Examen. Man hat unheimlich viel gelernt von dieser Sprache, die sich Jura nennt, aber es ist völlig unmöglich, dass man jede einzelne Vokabel, sprich jeden Fall, im Kopf hat. Was man im Kopf haben muss, ist das Grundgerüst dieser Sprache, sodass man, wenn ein Wort fehlt, es durch ein anderes ersetzen oder sich mit Händen und Füßen verständlich machen kann. Wenn man diese Grundsprache von Jura beherrscht, dann ist es auch möglich, sich einem unbekannten Terrain zu nähern. Die Gewissheit, ich bekomme einen Fall, den ich nicht kenne und die Sprache Jura trainiert zu haben, um den Fall zu lösen, ist eine Herangehensweise, die man verinnerlichen sollte.
Weshalb haben Sie bei so einem grandiosen Abschluss keine Karriere als Jurist verfolgt?
Ja, das hat auch zu großem Kopfschütteln bei meinen Professoren und Kommilitonen geführt. Aber ich hatte ja während des Studiums ein Volontariat absolviert und war dann Chefredakteur beim Berliner Rundfunk; ich wollte gar kein Anwalt werden und weitermachen – da hatte ich einfach keine Lust zu. Ehrlich gesagt fängt ja die interessante Arbeit vor der anwaltlichen Tätigkeit an. Wenn zwei Leute zum Beispiel eine Zeitung oder in der heutigen Zeit wohl eher ein Internet-Start-up gründen und sich am Markt positionieren wollen, dann haben sie eine Idee und gehen zur Gründung sicher zum Anwalt und zur Bank. Das ist wichtig und das ist gute Arbeit – die coole Arbeit findet allerdings davor statt. Ich wollte zwar immer wissen, wie Anwälte arbeiten, aber nie selber einer sein. Strafverteidiger hätte mich noch interessiert, wo es um richtige Schicksale geht und nicht nur um das Geld anderer Leute. Und wer weiß, vielleicht sticht mich ja noch einmal der Hafer und ich mache mein zweites Staatsexamen. Ich kann mir nur nicht vorstellen, dass ich, wenn ich mit 55 Jahren meinen ersten Fall habe, sehr vertrauenserweckend wirke.
Die Frage ist natürlich auch, ob man sich nach dem ersten Examen zwei weitere Jahre quälen will!
Das ist eine sehr gute Frage! Das Problem ist auch, dass es alles so verschult ist. Ich habe schon in der Schule fast nichts während des Unterrichts gelernt. (Anmerkung der Redaktion: Das sagt ein Lehrerkind!). Auch im Studium habe ich fast nichts aus den Vorlesungen mitgenommen. Ich bin immer mit meinen Büchern zu Hause gewesen und musste mir das selber aneignen. Das war wie in Tiermedizin: Da stand irgendein Professor vorne und hat ein Pferd an die Wand geworfen und bestimmt zweitausend Muskeln und Knochen und Nerven vorgelesen. Das war pures Auswendiglernen und ich saß in den Pflichtveranstaltungen und dachte: Das kann doch nicht sein Ernst sein! Dann gehst Du nach Hause und musst alles noch einmal nachlesen – pure Zeitverschwendung. Beim Jurastudium hatte man nicht so viele Pflichtveranstaltungen und das war dann auch mein Studium. War wirklich eine tolle Zeit!
Und wie haben Sie die Zeit vor dem Examen empfunden?
Die Examensphase ist natürlich nicht eines meiner Highlights. Ich mag grundsätzlich keine Prüfungen. Dabei hat mir aber geholfen, dass ich ein Volontariat gemacht habe – das war tausend Mal stressiger! Von 5 bis 12 Uhr war ich im Sender, danach bin ich nach Hause gefahren, habe mich ausgeruht und bin dann nachmittags zum Lernen in die Unibibliothek. Es hat beides Spaß gemacht und wenn etwas Spaß macht, dann macht man es auch – Tiermedizin habe ich keine drei Monate ausgehalten. Der Druck beim Radio war größer als der Druck vorm Examen. Hätte ich diese Doppelbelastung nicht gehabt, hätte ich Jura viel entspannter studiert – so hatte ich immer das Gefühl, ich muss jede Minute nutzen. Aus diesem Grund habe ich nicht so viel Zeit vertrödelt – was im Nachhinein vielleicht schade ist – aber es hat auch dazu geführt, dass ich das Ganze sehr straight durchgezogen habe.
Hat Sie das Jurastudium zu Ihrem Schreiben inspiriert?
Die Liebe zum Schreiben entstand eigentlich aus meiner Liebe zu Büchern, schon seit der Grundschulzeit. Natürlich sind einem vom Studium ein paar Fälle im Gedächtnis geblieben, zum Beispiel aus dem Strafrecht. Beim Krimi ist es ja ganz wichtig, die Dinge auch aus einer anderen Perspektive zu sehen, und das ist im Strafrecht oder auch im Zivilrecht genauso. Ich erinnere mich da an ein paar Entscheidungen, die einprägsam waren und wo ich gemerkt habe: Stimmt! Das kann man auch von einer anderen Seite betrachten.
Ihre Romane sind packend geschrieben und flüssig zu lesen. Eigentlich untypisch für einen Juristen!
Oh ja, diese Schachtelsätze fand ich immer ganz schrecklich. Obwohl ich in Klausuren manchmal so verschachtelt geschrieben habe, dass mir da niemand einen Strick draus drehen konnte. Goethe soll ja unter einen langen Brief geschrieben haben: Tut mir leid, ich hatte keine Zeit mich kurz zu fassen. Tatsächlich ist es weder in einer Hausarbeit noch in einer Geschichte schlimm, wenn man verständlich schreibt.
Würden Sie rückblickend noch einmal Jura studieren?
Ja, auf jeden Fall. Meinen Kindern werde ich sagen, sie sollen Jura und Psychologie studieren und Schauspielunterricht nehmen – ich glaube, dann sind sie am besten fürs Leben vorbereitet! (lacht) Jeder, der naturwissenschaftlich begabt ist oder gut rechnen kann, der braucht das nicht zu machen. Aber jeder, der wie ich nicht rechnen, halbwegs gut erzählen kann und an Sprachen interessiert ist – denn Jura ist nichts anderes als eine Sprache – dem kann man bedenkenlos Jura empfehlen.
Das Gespräch führte Justament-Autorin Katharina Stosno.