Ein Bericht über das Praktikum in der Hauptstadt der Ukraine
Jaroslawa Gall
Wenn man an die Ukraine denkt, assoziiert man zunächst die orangefarbene Revolution oder vielleicht noch die Klitchko Brüder, aber nicht notwendigerweise ein Praktikum.
Warum ich mich dennoch für ein Praktikum in Kiew entschieden habe? Einen speziellen Grund gab es nicht, ich bin lediglich in dieser Stadt geboren. Irgendwann kam mir der Gedanke, meinen Horizont durch ein Praktikum bei Gericht zu erweitern. So ließ sich die praktische Studienzeit mit einem Auslandsaufenthalt verbinden. Da ich seit siebzehn Jahren nicht mehr in der Ukraine war, war ich gespannt, was mich dort erwarten würde. Zu meiner großen Verwunderung hat sich das Stadtbild kaum verändert, obwohl sich die Funktion der historischen Gebäude im Zuge der Kapitalisierung verändert hat.
Die erste Aufgabe bestand darin, einen Praktikumplatz zu erhalten. Es ist nicht ganz einfach sich mit den Behörden in Verbindung zu setzen, den zuständigen Ansprechpartner zu finden und eine Zusage zu erwirken. Mein Vorteil bestand darin, dass der Stiefvater eines ehemaligen Klassenkameraden in Kiew Richter am besagten Appellationsgericht ist. Ein kurzes Telefonat verbunden mit der Bitte um Weiterleitung der Praktikumsanfrage, und nach Zusendung eines (obligatorischen) Bewerbungsschreibens, konnte ich schon die Koffer packen. Ich gebe allerdings zu bedenken, dass man sich auf wesentlich längere Wartezeiten einzustellen hat, wenn man den offiziellen Weg beschreitet. Obwohl auf den Straßen russisch gesprochen wird, ist die Amtssprache seit der Unabhängigkeit im Jahre 1991 wieder ukrainisch.
In Kiew angekommen, wurde ich von meiner Verwandtschaft erwartet, die mich für die Dauer des Praktikums beherbergte. Weniger Privilegierte sollten sich vorab um eine Unterkunft kümmern (z.B. Jugendherberge über http://hihostels.com.ua/en/hostel_ukr/).
Die Vorstellungen von ukrainischer und deutscher Arbeitsmoral sind nicht ganz kongruent. Dementsprechend wenig arbeitsintensiv und daher kurz waren meine Tage bei Gericht. In der Regel begann mein Arbeitstag bis auf einige Ausnahmen um neun Uhr und endete gegen fünfzehn Uhr. Hauptsächlich nahm ich an Verhandlungen teil und beobachtete die Arbeit des mich betreuenden Richters und seiner wissenschaftlichen Assistentin. Es ergab sich auch die Gelegenheit Einblick in Akten zu nehmen, allerdings werden die Akten, sowie die Sitzungsprotokolle per Hand geführt, so dass ich Schwierigkeiten hatte, die Handschrift zu entziffern. (Möglicherweise hat das Zeitalter der modernen Technologie nun auch die ukrainischen Gerichtssäle erreicht). Dies ist einer der Unterschiede zu Deutschland. Ein anderer besteht im äußeren Erscheinungsbild des Gerichtssaals und der Bekleidung. Jeder Gerichtssaal besitzt eine Abtrennung durch Metallstäbe, die eine Art Käfig darstellt, hinter dem die Angeklagten für die Dauer der Verhandlung verbracht wurden. Manchmal wurden sogar mehrere einzelne Verhandlungen in einer großen Sitzung abgehandelt. Außer dem Richter trägt niemand eine Robe, weder die Anwälte noch die Staatsanwälte.
Die juristische Ausbildung ist schlechter als in Deutschland, da sie zum einen kürzer ist (weniger umfangreich) und zum anderen ist alles eine Frage des Geldes, welches weder beim Staat noch bei den Studenten selbst vorhanden ist. So ist mir aufgefallen, dass es im Gegensatz zu Deutschland viele Wissenslücken und auch ein Mangel an Soft Skills vorhanden sind. So musste in einer Verhandlung das Gericht den anwesenden Staatsanwalt tadeln, da er scheinbar gänzlich unvorbereitet war und nicht wusste, auf welche Normen er seine Anklageschrift stützte. Viele Anwälte hatten scheinbar noch nie einen Rhetorikkurs besucht. Im Übrigen sind alle freundlich und hilfsbereit, auch wenn die Ukrainer auf den ersten Blick etwas ruppige Umgangsformen haben. Dies ist eine ethnische Eigenart und hat nichts mit Fremdenfeindlichkeit zu tun.
Nach überstandenem Arbeitstag sowie am Wochenende bot sich die Möglichkeitm die Stadt zu erkunden. Langweilig wird es nicht, denn es gibt viel zu entdecken. Zahlreiche orthodoxe Kirchen mit wunderschönen vergoldeten Kuppeln locken ins Innere, wo es alte Ikonen und Stuckornamente zu entdecken gilt. Ich empfehle auch einen Spaziergang über die Hauptsraße, den Majdan Nezhalesnosti (Unabhängigkeitsplatz) mit aneinander gereihten Geschäften, Coffeeshops, Restaurants und Cafes. Von der nationalen ukrainischen Küche bis Sushi gibt es alles für den Gaumen. Es ist aber davon abzuraten, in den U-Bahn-Unterführungen Teigtaschen bei älteren Damen zu kaufen, die sich dort an jeder Ecke tummeln. Es bleibt immer ein Risiko, was man da gerade zu sich nimmt.
Nach einem stressigen Tag ist ein Spaziergang am Dnejpr sehr erholsam. Für die künstlerisch und historisch Interessierten stehen viele Museen zur Verfügung. Im Sommer ist der botanische Garten ein Highlight. Ab Mai findet dort eine sehr große Blumenausstellung statt, die einfach atemberaubend ist.
Abends kann man in eine der zahlreichen Diskotheken oder Coctailbars gehen. Auf dem Rückweg ist Vorsicht angesagt. Taxifahren ist ein Abenteuer und der Preis Verhandlungssache. Also besser nicht alleine fahren oder sich von einem Einheimischen, wenn man denn einen kennt, nach Hause begleiten lassen.
Zusammenfassend kann ich sagen, dass ich das Praktikum in jeder Hinsicht genossen habe. Für jemanden, der noch nie in Osteuropa war, gilt es auftauchende Hindernisse zu umschiffen. Wenn man aber generell reise- und abenteuerlustig ist, ist eine Reise in die Ukraine eine (kulturelle) Bereicherung.