Das war ein großer Auftritt! Wer Jura bislang als trocken und dröge ansah, wurde in der Nacht zum Montag in Alexander Kluges Kulturmagazin „News & Stories“ auf Sat 1 eines Besseren belehrt. Prof. Dr. jur Dr. phil Stefan Grundmann, der an der Berliner Humboldt-Universität einen Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Deutsches-, Europäisches- und Internationales Privat- und Wirtschaftsrecht innehat, nahm die Zuschauer zu später Stunde mit auf eine abenteuerliche Reise durch die Ideengeschichte des Rechts. Unter dem Titel „Poesie des Rechts“ beleuchtete er die junge deutsche Rechtswissenschaft des 18. und 19. Jahrhunderts mit „Märchenonkel“ Jacob Grimm und Friedrich Carl von Savigny, veranschaulichte deren Wurzeln im Rechtsdenken der englischen Philosophen John Locke, David Hume und Adam Smith und machte deutlich, dass die zu jener Zeit praktizierte Rechtswissenschaft eine stets offene Prozedur war, zu der vor allem die Suche nach jeweils geeigneten Rechtsquellen und die kreative Auslegung der Bestimmungen gehörten. Erst nach Einführung national verbindlicher Regelwerke wie der des BGB im Jahre 1900 wandelte sich die Rechtswissenschaft zur Rechtsdogmatik und erhielt einen völlig neuen Charakter.
Die Bedeutung des Rechts für alle Lebensfelder, so Grundmann, habe seitdem extrem zugenommen mit der Folge einer immer stärkeren Beschränkung aufs Fällelösen. Hierfür sei die deutsche Juristenausbildung auch fabelhaft geeignet, doch sei das heute kaum noch zeitgemäß. In einer immer komplexer werdenden Welt komme es zunehmend auf interdisziplinäre Herangehensweisen an, auf die Betrachtung des Rechts in seinen Wechselwirkungen mit wirtschaftlichen, aber auch allgemeingesellschaftlichen Zusammenhängen. Zwar gebe es inzwischen schon reichlich hochqualifizierte Wirtschaftsjuristen, doch seien auch die, wie die aktuelle Krise zeige, nicht ausreichend in der Lage, auch die sozialen und politischen Aspekte ihrer Materie angemessen im Blick zu haben. Gefragt sei vielmehr der Rechts- als Gesellschaftswissenschaftler, der wie vor zweihundert Jahren das Recht als Bestandteil der menschlichen Gesellschaft begreift.
Und die Herausforderungen, weiß Grundmann, werden nicht kleiner. Das Fatale an der Wirtschaftskrise sei gerade ihre Dimension als Kompetenz- und Vertrauenskrise. Böser Wille, so heißt es in der paraphrasierenden Verdichtung durch Alexander Kluge, sei weit weniger schlimm als fehlendes Vertrauen infolge von Zweifeln an der Kompetenz der Akteure. Die zahlreichen Finanzbetrugs-Skandale der vergangenen Jahre waren für die Kapitalmärkte noch vergleichsweise leicht wegzustecken. Hingegen entfalteten die Verbriefung, Bündelung und Verpackung der amerikanischen Subprime-Kredite zu selbst für Experten undurchschaubaren Derivaten ein völlig neues und akut systemgefährdendes Potential. Wenn Ratingagenturen der Bank Lehman Brothers exzellente Bewertungen zubilligen und diese nur fünf Tage später in Konkurs geht, dann stehe schlicht das Grundvertrauen in unser Wirtschaftssystem auf dem Spiel.
Prof. Grundmann schwebt die Gründung einer Stiftung vor, um mittelfristig eine gezieltere Ausbildung von wirtschafts- und gesellschaftswissenschaftlich sensibilisierteren Rechtswissenschaftlern auf die Beine zu stellen. Mögen sie uns vor künftigen Krisen der aktuell erlebten Größenordnung bewahren.
Dann wäre das Jurastudium bißchen interessnter!