Scheiben vor Gericht spezial: Element Of Crime mit fünf neuen Songs live auf dem Oranienplatz in Kreuzberg
Thomas Claer
Unter dem Motto „Früher haben wir hier gewohnt, und heute spielen wir hier“ absolvierten unsere Elements am Samstag einen vielumjubelten Auftritt auf der „Fete de la Musique“ auf dem Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg. Mit besonderer Spannung aber hatten die zu Tausenden herbeigeströmten Fans auf die versprochenen Kostproben aus dem für den Herbst angekündigten neuen EOC-Album – dem ersten seit fünf Jahren – gewartet, und sie wurden nicht enttäuscht: Gleich fünf neue Songs gab Sven Regeners muntere Kapelle – neben fünf weiteren wohlbekannten Gassenhauern – zum Besten. Nach 45 Minuten war dann allerdings Schluss, weil die nächsten Bands an der Reihe waren.
„Na, und“, werden jetzt alle fragen, die nicht dabei sein konnten, „wie waren denn die neuen Lieder?“ Um es zurückhaltend zu sagen: Jede Sekunde des Wartens hat sich voll gelohnt. Zwar bedarf es wohl keiner besonderen Erwähnung, dass sich vom musikalischen Konzept her bei Element Of Crime nicht viel verändert hat. Nur, dass diesmal noch zusätzlich ein Saxophonist mit dabei war (das hatten sie, glaube ich, letztmals auf dem Debütalbum „Basically Sad“ von 1985), der insbesondere einen Teil von Sven Regeners Trompeten-Einsätzen ersatzweise übernahm. Gute Idee! Denn gleichzeitig singen und Trompete spielen, das hat noch keiner geschafft. Und bei früheren Live-Auftritten musste daher immer so einiges von Regeners Trompetengeschmetter notgedrungen unter den Tisch fallen. Jetzt zum Glück nicht mehr.
Aber zurück zu den fünf neuen Songs. Sehr stark sind sie, ironischer und melancholischer denn je, sowohl textlich als auch musikalisch, da kommt womöglich ein großes Album auf uns zu. Gleich das Eröffnungslied „Am Morgen danach“ brilliert mit vielsagenden Andeutungen wie „Du ohne Schirm, ich ohne Plan, war ja klar“. Ähnlich verhält es sich mit „Schade, dass ich das nicht war“, das sogar etwas temporeicher daherkommt, als wir es sonst von den Elements gewohnt sind. Hingegen wird in „Hauptsache Du“ die anfänglich zu befürchtende Kitschnähe („Nie zuvor hab ich ein Lächeln geseh‘n wie das deine“) rasch durch einen beherzten oxymoratischen Blick auf die Widersprüchlichkeiten des Alltags ausgetrieben: „Heimatlos und viel zu Hause“, „Unterbeschäftigt und viel zu viel zu tun“. Wer kennt das nicht?
Als absolutes Highlight erweist sich dann aber das hintersinnig-dunkle „Liebe ist kälter als der Tod“. „Auf alles, was da kommt, scheißend“ reift im lyrischen Ich schließlich die Erkenntnis: „Je länger man kaut, desto süßer das Brot“. Der letzte der neuen Songs, „Bildschirm und Goldfisch“, ist dann noch eine Hymne an die eigene Unerreichbarkeit, rein technisch betrachtet – es geht um abgeschaltete Handys und defekte Wohnungstürklingeln. Schon beim zweiten Hören (man hat natürlich alles gefilmt und mit nach Hause genommen) kommt es einem vor, als ob man die Songs schon seit 20 Jahren kennen würde. Und das ohne dass sie einfach nur ein Abklatsch der früheren wären, ganz und gar nicht!
Gelungen war letztlich auch die Auswahl der fünf altbekannten Stücke im Programm. Dachte man nach „Am Ende denk ich immer nur an dich“, „Immer da, wo du bist, bin ich nie“ und „Delmenhorst“ schon, dass ausschließlich das letzte Jahrzehnt zum Zuge käme, gab es dann als Zugabe doch noch zwei Knaller aus den frühen Neunzigern, nämlich „Weißes Papier“ und als Schlusspunkt „Draußen hinterm Fenster“.
Ganz ausdrücklich zu loben ist ferner noch die exzellente Vorgruppe, das Berliner Lagerfeuer-Duo „Apples in Space“, dessen wunderschönes Lied „Vespa“ schon den Soundtrack von „Haialarm am Müggelsee“ schmückte, jenem Klamauk-Film, den Sven Regener im letzten Jahr gemeinsam mit Regisseur Leander Haußmann gedreht hat. Apropos Leander Haußmann: Der befand sich auch im Publikum und war schon von weitem daran zu erkennen, dass er als nahezu einziger nicht auf seine stetig brennende Zigarette verzichten konnte. Noch vor zehn oder 15 Jahren hätte über einem solchen Live-Musik-Fest eine dichte Nikotinwolke geschwebt, inzwischen sind aber die Kreuzberger Konzertbesucher offensichtlich schon ebenso gentrifiziert wie ihre Wohngegend.
Übrigens lässt sich auf dem Oranienplatz neuerdings eine kulinarische Köstlichkeit probieren, die mancher vielleicht noch nicht kennen wird: In einer bunten Bude am südwestlichen Rand des Platzes werden in verschiedenen Variationen ausschließlich „Tantuni“ verkauft. Das sind ursprünglich aus der Region Mersin im Süden der Türkei stammende Teigrollen, gefüllt mit gegartem Hackfleisch, Tomate, Zwiebel, Petersilie, Chili, Kümmel und schwarzem Pfeffer. Sehr lecker! Die kosten zwar mit 3,50 EUR einen Euro mehr als der gemeine Döner, aber es lohnt sich ganz unbedingt! Und dann war am Samstag auch noch, wie es der Zufall so wollte, Christopher Street Day. Und einer der Umzüge verlief durch die Oranienstraße. Da gab es dann noch allerhand buntes Volk zu bestaunen.
Das Gesamturteil lautet: gut (15 Punkte).