Auf dem 50. Historikertag in Göttingen wurden auch die prekären Berufsaussichten junger Absolventen erörtert
Benedikt Vallendar
Göttingen – Wie es nach dem Master weitergehen soll, weiß Sonja selbst noch nicht so genau. Am liebsten würde die 23-Jährige Geschichtsabsolventin in der Forschung oder als Archivarin arbeiten, sagt sie. Aber dort sind die Stellen bekanntlich rar gesät und überdies schlecht bezahlt. Wenn in überregionalen Tages- und Wochenzeitungen befristete Teilzeitstellen als wissenschaftliche Mitarbeiter angeboten werden, bewerben sich oft Dutzende. Und immer wieder kursieren Gerüchte, dass die Stellen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung längst intern vergeben und nur der Ausschreibungspflicht wegen annonciert worden sind.
Sonja hat an der Universität Bonn kürzlich ihren Bachelor mit dem Schwerpunkt Mittelalterliche Geschichte gemacht und steht vor der Programmtafel des 50. Historikertages, der Ende September in Göttingen stattfand. Geladen hatten der Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands e.V. (VHD), der Verband der Geschichtslehrer Deutschlands e.V. (VGD) sowie die Georg-August-Universität Göttingen, in deren Räumlichkeiten das Treffen stattfand.
Kein Platz für Träumer
Die Ankündigungen für die dreitägige Veranstaltung in der niedersächsischen Universitätsstadt machten einen vielversprechenden Eindruck. Neben aktuellen Themen zum Ukrainekonflikt wurde dort auch Vorträge zu neuen Forschungsergebnissen im Bereich Antike und der Geschichte des Nahen Ostens angeboten. Viele namhafte deutsche und ausländische Wissenschaftler und Politiker, darunter Bundespräsident Joachim Gauck, hatten den Weg nach Göttingen gefunden.
Neben ihrem Studium arbeitet Sonja in einer PR-Agentur, um sich „auf den Berufseinstieg“ vorzubereiten, wie sie sagt. Mit dem Job habe sie echt Glück gehabt, sagt die Jungakademikerin. Denn viele ihrer Kommilitonen fallen nach dem Abschluss in ein tiefes Loch oder stochern jahrelang im Nebel herum, bevor sich etwas Passendes, meist außerhalb des Historikerberufes, findet, wissen Studien- und Berufsberater wiederholt zu berichten. Nicht wenige müssen sich jahrelang mit zweitklassigen Jobs als Callcenter Agent oder Nachhilfelehrer durchschlagen, immer in der Hoffnung, dass der Traumjob irgendwann doch vom Himmel fällt. Doch meist bleibt es beim Traum. Selbst die Geisteswissenschaftlern gerne nachgesagten „Soft skills“ sind für Unternehmen eher ein Feigenblatt, wenn sie auf Nachwuchssuche gehen. In der Praxis zählen in der Regel BWL- und PC-Kenntnisse, am besten in Kombination mit zwei oder mehr Fremdsprachen und einer vor dem Studium abgeschlossenen Berufsausbildung.
Zweitfach Mathematik
Für den Historikertag in Göttingen hatten die Geschichtsseminare deutscher Universitäten kräftig die Werbetrommel gerührt, mit der kühnen Botschaft, dass sich dort „interessante Kontakte“ und „Netzwerke“ für den beruflichen Einstieg nach dem Studium finden ließen. Doch vor Ort bekam diese vielversprechende Botschaft der Werbestrategen einen ganz anderen Touch. Denn es war vor allem die prekäre berufliche Situation junger Absolventen, die in vielen Foren diskutiert wurde; wobei Übereinstimmung dahin gehend herrschte, dass es einen Königsweg zum Erfolg grundsätzlich nicht gibt. Auch wenn Historiker, neben Theologen und Philologen, in den Boomjahren des Internets in Medien, selbst bei Banken und Versicherungen untergekommen sind, gestaltet sich die Suche nach einem adäquaten Arbeitsplatz noch immer kompliziert. „Selbst die günstigen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit, die relativ wenige Historiker auf Jobsuche in ihren Datenbanken verwaltet, zeigt nur, dass sich kaum jemand ernsthaft Hoffnung macht, auf diese Weise eine geeignete Stelle zu finden“, sagte der inzwischen verstorbene Berliner Neuhistoriker Hagen Schulze. Er riet jungen Kollegen, sich frühzeitig für andere Branchen zu qualifizieren, sollte es mit der Unikarriere nicht klappen. Auch eine Verbandstätigkeit oder die Schule, etwa in Kombination mit einem Mangelfach wie Mathematik, Latein oder Physik könne eine interessante Alternative sein, sagte Schulze.
Doch trotz eher mauer Berufsaussichten ist Geschichte als Studienfach nachwievor sehr beliebt, was sich nicht zuletzt an der Vielzahl historischer Sendungen im Fernsehen ablesen lässt, bei denen Historiker als Experten regelmäßig ein Millionenpublikum begeistern. Die Freude, der Vergangenheit auf die Spur zu kommen, hatte seinerzeit auch Sonja in ihrer Studienwahl bestärkt, sagt sie. Doch nun gelte es, die Weichen für den Start in eine gute berufliche Zukunft zu stellen.