Warum Kartellrecht im Berufsalltag anders als an der Uni funktioniert
Katja Hilbig
Kartellrecht zählt an juristischen Fakultäten nicht unbedingt zum Standardrepertoire. Aber wer sich in dem Fachgebiet auskennt, hat beim Berufseinstieg gute Karten: Denn auch die Konkurrenz ist überschaubar. Bleibt nur noch die Frage: Was nützt das an der Uni erworbene Wissen später im Job?
„Es kommt selten vor, dass Uniabsolventen schon genau wissen, ob sie in einem Kartellrechtsteam arbeiten wollen“, erzählt Marie-Madeleine Husunu. Die 33-jährige Rechtsanwältin ist seit zwei Jahren im Brüsseler Büro der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft tätig: „Als ich mich hier beworben habe, waren meine Vorerfahrungen ein `Alleinstellungsmerkmal`. Das hat bei der Bewerbung geholfen.“ Schon während des Studiums in Passau und Freiburg hat sich die Juristin mit kartellrechtlichen Themen beschäftigt. Dann folgte eine Referendarstation im Bundeskartellamt: „Einen Berufseinstieg beim Kartellamt, konnte ich mir zwar nicht vorstellen, aber ich fand es hilfreich, das Ganze von der der anderen Seite zu sehen – die Schriftsätze von anderen Anwälten oder die Beschwerden von Bürgern und Verbraucherorganisationen.“
Anschließend wählte Marie-Madeleine Husunu Kartellrecht als Schwerpunkt in der mündlichen Prüfung zum 2. Staatsexamen. „Da näherte man sich dem Thema natürlich sehr theoretisch: Die wichtigsten Fakten lagen ordentlich aufbereitet vor, und es galt, nur noch die rechtlich beste Lösung zu finden.“ Jetzt, im Tagesgeschäft einer Großkanzlei, liegt der Schwerpunkt der Arbeit vor allem auf der Vorarbeit: „Gerade das Finden der wichtigen Fakten nimmt viel Zeit in Anspruch. Wobei es nicht reicht, einfach nur Daten zu sammeln. Man muss diese auch bewerten können und dazu ein Verständnis für den jeweiligen Mandanten entwickeln: Wie genau funktionieren seine Produkte? Wie lässt sich eine bestimmte Marktabgrenzung begründen?“
Das Durchforsten von Emails, Ordnern und Dokumenten nimmt auch im Arbeitsalltag von Gesa Milbrett (30) und Martin Steger(32) viel Raum ein. Beide sind als Associates im Düsseldorfer Büro von Luther tätig und haben bereits während des Studiums ins Kartellrecht „hineingeschnuppert“. Gesa Milbrett erzählt, dass sie sich für das Fach interessierte, weil es das einzige mit deutlichem Wirtschaftsbezug war: „Allerdings war das auch stark von den Dozenten abhängig. Einige konnten die Vorlesung dazu deutlich spannender aufbereiten als andere.“ Sie entschied sich, nach dem 1. Staatsexamen im Kartellrechtsteam von Freshfields eine Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin zu beginnen: „Die Arbeit war sehr eng mit Energierechtsthemen verknüpft – ein Bereich, von dem in der Vorlesung an der Uni nicht die Rede gewesen war.“
Martin Steger kann sich erinnern, dass er das Kartellrecht während des Studiums zunächst als Teil eines Schwerpunktbereichs zum Medienrecht kennengelernt hat: „Ergänzend zum IT-Recht und der Telekommunikationsregulierung habe ich dann ganz bewusst ein Seminar mit Berührungspunkten zum Kartellrecht besucht.“ Auch er leistete eine Referendarstation in einer Großkanzlei ab, in der die Schnittstelle zum Energierecht im Vordergrund stand: „Die Ausrichtung der kartellrechtlichen Arbeit ist immer stark davon abhängig, für welchen Partner man arbeitet. Jeder Partner hat in der Regel Mandanten aus bestimmten Branchen. Und genau dieses Branchenwissen ist bei der kartellrechtlichen Beratung enorm wichtig – man muss das Geschäftsmodell des Mandanten verstehen, damit man die Entscheidungen des Bundeskartellamtes versteht.“
Martin Steger glaubt, dass der Unterschied zwischen der Theorie im Studium und der Praxis im Berufsalltag im Kartellrecht eine größere Rolle spielt als in anderen Fachgebieten: „Gerade in Bußgeldverfahren muss ich als Kartellrechtsanwalt in Interviews mit den Mandanten oft Ermittlungsarbeit leisten – also ihnen durch geschicktes Fragen versteckte Informationen entlocken. Oder, wenn die Kriminalbeamten zu einer Durchsuchung beim Mandanten vor der Tür stehen, muss ich sehr schnell anhand der Infos vor Ort entscheiden, ob es tatsächlich einen Kartellrechtsverstoß gegeben haben könnte und das Unternehmen im Sinne der Kronzeugenregelung mit dem Bundeskartellamt zusammenarbeiten sollte.“ Die rechtliche Arbeit folgt in diesen Verfahren häufig erst später, wenn die aufwändige „Detektivarbeit“ abgeschlossen ist.
„Ich würde jedem, der sich für das Kartellrecht interessiert, empfehlen, ein Praktikum in diesem Bereich zu machen. Nur so kann man abschätzen, ob einem das Verhältnis von praktischer Arbeit – also der der Ermittlung des Sachverhalts – zu rechtlicher Bewertung liegt“, meint Steger. Auch Gesa Milbrett rät Studierenden, zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter in das Fachgebiet hinein zu schnuppern: „Das geht auch ohne theoretische Vorerfahrung. Allerdings sollten sich WiMis darüber im Klaren sein, dass die Arbeit unter Umständen etwas kleinteiliger ausfällt als später als Anwalt.“
Marie-Madeleine Husunu meint, dass der Berufseinstieg im Kartellrecht auch ohne umfassende theoretische Kenntnisse möglich ist: „Das Beratungsgeschäft lässt sich relativ leicht lernen. Trotzdem ist es sinnvoll, so früh wie möglich Praxiserfahrung zu sammeln.“ Studierende sollten dabei berücksichtigen, dass sich im Kartellrecht lokale Zentren gebildet haben. Am besten können sie das Fach in Brüssel oder Düsseldorf kennenlernen: Das OLG Düsseldorf ist bei Entscheidungen gegen das Bundeskartellamt zuständig. Brüssel ist Sitz der EU-Kommission, die die europäische Wettbewerbskontrolle verantwortet.