Auf über 1000 Seiten: Staatsrechtslehrer des 20. Jahrhunderts aus dem deutschen Sprachraum
Matthias Wiemers
Das Format des Bandes kommt einem gleich bekannt vor: Es entspricht dem aktuellen Format der Jahresberichte der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, die übrigens in früherer Form einmal als „Hefte“ bezeichnet wurden. Inzwischen bilden die Jahresberichte ausgewachsene Bücher, deren üblicher Seitenumfang allerdings von dem hier vorzustellenden Band noch übertroffen wird. Auf über 1000 Seiten haben die drei in Bayreuth und Halle ansässigen Staatsrechtslehrer insgesamt 67 Portraits von verstorbenen Kollegen gesammelt, die wiederum von anderen Kollegen jeweils verfasst wurden. Wie schon der Untertitel mitteilt – und wie es auch der Staatsrechtslehrervereinigung entspricht – werden sowohl Deutsche wie auch Österreicher und Schweizer behandelt.
Die einzelnen Portraits weisen dabei einen durchaus unterschiedlichen Umfang aus, und keines ist hinsichtlich seines Aufbaus wie das andere. Kann dies nicht grundsätzlich als Manko angesehen werden, ja würde vermutlich eine schablonenhafte Vorgabe hinsichtlich des Aufbaus der einzelnen Texte schon den Portraitierten nicht gerecht, so muss zusätzlich berücksichtigt werden, dass Autoren der einzelnen Beiträge nur teilweise zugleich bislang rechtshistorisch hervorgetreten sind, sie zudem zu einem (großen) Teil selbst schon emeritiert sind und es nicht immer einfach ist, an entsprechendes Quellenmaterial zu kommen. Nicht über der Portraitierten liegen bereits ausführliche Würdigungen oder gar Biographien in leicht zugänglicher Form vor. Sodann haben die Herausgeber die Autoren möglichst danach ausgewählt, ob sie zu den Schülern des Porträtierten zählen oder sonstwie in besonderer wissenschaftlicher Beziehung stehen. Das führte in einem Fall zu der vielleicht etwas übertriebenen Nähebeziehung, dass Ludwig Adamovich junior über seinen Vater gleichen Namens berichtet (S. 371 ff.). Portraitiert wurden nur bereits verstorbene Staatsrechtslehrer, und es wurde darauf geachtet, nur solche aufzunehmen, die überwiegend wissenschaftlich tätig waren. Dieses Kriterium wurde – mit Ausnahme der Person von Wilhelm Grewe (S. 791 ff.) – gewahrt, auch wenn zahlreiche hier Portraitierten – teilweise gleichzeitig – auch in der Rechtsprechung, in der praktischen Politik oder in Positionen der öffentlichen Verwaltung tätig waren. Gerade was die Vielseitigkeit des Portraitierten anbelangt, fällt die – von Peter Lerch ausgeführte – Beschreibung seines Lehrers Theodor Maunz aus (S. 575 ff.). Die Portraits sind überwiegend in einem nüchternen, distanzierten Ton gehalten – mit wenigen Ausnahmen, die einerseits auf das besondere Näheverhältnis zwischen Autor und Portraitiertem zurückzuführen sein mag, andererseits aber sicher auch auf die Persönlichkeit des jeweiligen Autors zurückzuführen sein wird. Eine weitere Frage der inneren Gewichtung der Portraits war die Verteilung zwischen Aussagen zu Leben auf der einen und Werk auf der anderen Seite. Natürlich lesen Lebensdaten und deren Einbettung in den historisch-politischen Kontext – allgemein und unter besonderer Berücksichtigung der Lage an den Hochschulen – leichter als Aussagen zum Inhalt des jeweiligen Werks, insbesondere dann, wenn der Leser kein Experte auf dem jeweiligen Fachgebiet ist. Insoweit haben nicht alle Autoren dem Leser leichtgemacht. Aber je mehr Informationen die Einzelexte liefern, desto eher ermöglichte es der Band, eine besondere Art des Überblicks über die Entwicklung des Öffentlichen Rechts in den deutschsprachen Länden im 20. Jahrhundert zu vermitteln.
Was nun die Auswahl der Portraitierten angeht, so schreiben die Herausgeber im Vorwort, ihre Wahl sei auf Staatsrechtslehrer gefallen, deren Wirken schwerpunktmäßig ins 20. Jahrhundert falle. Dies kann freilich hinsichtlich einiger der am Anfang des Bands durchaus in Zweifel gezogen werden, so bei Paul Laband (S. 3 ff.), Georg Meyer (S. 29 ff.), Otto Mayer (S. 47 ff.) und Georg Jellinek (S. 59 f.). Dies gilt umso mehr, wenn man zusätzlich noch die übliche Einteilung der Historiker nach dem „langen 19. Jahrhundert“ (1789 – 1918) zu Grunde legt. Es ist durchaus verständlich, dass die Herausgeber auf die vier ersten Kapitel nicht verzichten wollten, aber man hätte diese auch gesondert veröffentlichen können. Andere Namen fehlen, auch wenn die Herausgeber hinsichtlich Otto Kirchheimer und Roman Schnur auf entsprechende Würdigungen durch Michael Kilian anderen Orts hinweisen. Auffällig ist, wie viele der Portraitierten sich – auch oder gar im Schwerpunkt – im Völkerrecht betätigt haben.
Zwei bedeutende Würzburger Staatsrechtslehrer fehlen: Günther Küchenhoff und Dieter Blumenwitz, und auch Gerhard Wacke (Hamburg) und Carl Hermann Ule (Speyer) wären noch von Interesse gewesen, aus Münster sicher Albert Bleckmann (wieder ein Völkerrechtler).
Über keinen deutschen Staatsrechtslehrer ist jemals so viel geschrieben worden wie über Carl Schmitt. Sein Kurzportrait für diesen Band zu verfassen musste deshalb als besondere Herausforderung erscheinen. Matthias Jestaedt – ausgerechnet ein Hans-Kelsen-Experte (Kelsen: S. 218 ff.) – hat das m. E. auch stilistisch beste Portrait geliefert – jedenfalls in diesem Band (Schmitt, S. 312 ff.).
Der Band bietet eine sinnvolle Ergänzung zum vierten Band von Michael Stolleis‘ Geschichte des Öffentlichen Rechts in Deutschland, der sich sowohl an den Hochschulen wie den großen Linien der Lehre orientiert, und Helmuth Schulze-Fielitz, der mit seiner „Staatsrechtslehre als Mikrokosmos“ die „Familiengeschichte“ der deutschen Staatsrechtslehrer erzählt.
Sicherlich kann und sollte es dereinst eine Fortsetzung dieses Bandes geben.
Peter Häberle/ Michael Kilian/ Heinrich Amadeus Wolff (Hrsg.)
Staatsrechtslehrer des 20. Jahrhunderts – Deutschland, Österreich, Schweiz
Verlag de Gruyter, Berlin 2015
1058 S., 159 Euro