Sechzig (nicht) verweht

lit-dr-wiemers-burgerkommentar-u1_gramm_2978-7lit-wiemers-schmidt-bleibtreu-gg-kommentarDrei neue Grundgesetz-Kommentare zum Verfassungsjubiläum

Matthias Wiemers

Zum 60. Geburtstag des Grundgesetzes hat die Familie der Grundgesetz-Kommentare erneut Zuwachs bekommen. Das von Helge Sodan herausgegebene Werk, erster Vertreter einer neuen Klasse von „Kompakt-Kommentaren“ im Beck-Verlag, beruft sich ausdrücklich auf das Verfassungsjubiläum und weiss sich von vornherein der Knappheit der Darstellung verpflichtet. Neben Sodan , der neben den Artikeln 117 und 142 sämtliche Grundrechte und grundrechtsgleiche Rechte kommentiert, wirken Andreas Haratsch, vor allem in den Abschnitten über Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung, Walter Georg Leisner, vornehmlich  im Abschnitt über den Bund und die Länder, Ralf Peter Schenke (Finanzwesen) und Stefanie Schmahl (Europaartikel, Verteidigungsfall) an der Kommentierung mit.   
Der Kommentar will das Werk des ersten Zugriffs sein, für Studierende, Referendare, Anwälte, Richter „sowie diejenigen, die sich im politischen Bereich mit Verfassungsfragen beschäftigen“. Dies ist eine deutliche Hinwendung zur Praxis, von der man sich wünscht, dass insbesondere die am politischen Leben Beteiligten den Kommentar (gerne) zur Hand nehmen.
Der erste Blick auf den Umfang lässt die Frage aufkommen, ob es nicht auch noch etwas weniger als 760 Seiten hätten sein können. Schaut man jedoch in den Kommentar hinein, so erkennt man, dass die Kommentierungen durchweg vorzüglich sind: knapp, aktuell und tatsächlich auf die wichtigsten Zitatstellen beschränkt. Ob es sich bei der zitierten Literatur allerdings tatsächlich um jeweils „besonders wesentliche Beiträge“ handelt, mag dahinstehen. Die Nachwiese sind jedenfalls dort gesetzt, wo sie der Leser erwartet. Gelungen ist damit ein vollwertiger Kommentar, der in den meisten Fällen den Anforderungen genügen dürfte, um rasche verfassungsrechtliche Bewertungen vorzunehmen. Die Konkurrenzprodukte befinden sich freilich vornehmlich im gleichen Verlag. 

Das in Taschenbuchform erschienene Werk von Pieper und Gramm ist eigentlich kein Kommentar, weil es nicht streng nach den Artikeln des GG aufgebaut ist. Es ist eher ein Staatsbürgerkundebuch, das Fragen stellt und seine Antworten aus der Verfassung entnimmt. Es wendet sich an alle Bürger „im politischen Alltag, in der Schule und zu Beginn eines juristischen oder politikwissenschaftlichen Studiums“ und ist sehr adressatenbezogen. Die Nennung von Verfassungsartikeln wird weitgehend gemieden, auch wenn letztlich immer klar wird, wo im Grundgesetz Belege für das Gesagte zu suchen sind.
Das Buch ist in insgesamt 14 Abschnitte eingeteilt, von den Grundlagen der Verfassung bis hin zu Fragen ihrer Zukunftsfähigkeit.  Alle Abschnitte sind ähnlich aufgebaut und enthalten zum Teil ausdrücklich formulierte Fragen, die man aus der politischen Diskussion kennt (z. B. „Müssen Lehrer Beamte sein?“, „Wird die Sicherheit Deutschlands wirklich am Hindukusch verteidigt?“,  „Warum ist unser Steuersystem so unübersichtlich?“). An diese Fragen wird im Text herangeführt, und sie werden jeweils überzeugend beantwortet. In den meisten Fällen schließen die Kapitel mit einem Abschnitt mit Literaturhinweisen („Texte zur Vertiefung“), die bewusst knapp gehalten sind, jedoch durchgängig Hinweise zu umfangreicheren Ausarbeitungen enthalten, meist im Handbuch des Staatsrechts. Der große Vorzug dieses Werkes ist, dass es für jedermann verständlich darstellt, welche Bedeutung dem GG im Alltag der Bürger zukommt. Im Staat des Grundgesetzes ist Bürgerbewußstsein untrennbar mit Rechtsbewußtsein verbunden. Dies kommt  in dem neuen Werk gut zum Ausdruck.

Erschienen ist schließlich die elfte Auflage eines bereits sehr eingeführten Kommentars zum Grundgesetz, der seit seinem erstmaligen Erscheinen im Jahre 1967 in besonderer Weise der herrschenden Staatspraxis verpflichtet ist. Die seinerzeitigen und langjährigen Bearbeiter Bruno Schmidt-Bleibtreu und Franz Klein waren in der Finanzverwaltung tätig, die gerade im Rahmen der bis dato größten Reform des GG einschneidende Veränderungen erfahren hatte. Die nunmehr 11. Auflage erscheint ebenfalls nach einer bislang umfasssendsten Grundgesetzänderung, der Föderalismus-Reform I. Auch heute noch sind überwiegend Praktiker mit der Kommentierung beauftragt, wenngleich sich mit der neuen Auflage weitere Universitätsprofessoren unter die nunmehr 18 Bearbeiter gemischt haben. Die Kommentierungen bestechen durch ihre Übersichtlichkeit, die insbesondere durch geeignete Marginalien unterstrichen wird, und die Aktualität des nachgewiesenen Rechtsprechungsmaterials namentlich des BVerfG. Die Orientierung an der Verfassungsrechtsprechung bedeutet jedoch keineswegs, dass diese etwa kritiklos hingenommen würde. Im Gegenteil: Gerade die Beteiligung der Kommentatoren an der Entstehung des ein oder anderen Verfahrensgegenstandes muß mitunter zum Widerspruch herausfordern. Fazit: Wer eine fundierte Kommentierung des GG mit konkreten Bezügen zu aktuellen und in der Öffentlichkeit diskutierten Verfassungsproblemen sucht, kommt an dem nunmehr „Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/ Hopfauf“ genannten Kommentar nicht vorbei.    

Helge Sodan (Hrsg.)
Grundgesetz, Beck´scher Kompakt-Kommentar
Verlag C.H. Beck, 1. Aufl. 2009, 760 S., 29 €
ISBN 9783406580703

Christoph Gramm/ Stefan Ulrich Pieper
Grundgesetz. Bürgerkommentar. Antworten der Verfassung auf gesellschaftliche Fragen
Verlag Nomos, 1. Auflage 2008
352 S., 19,90 €
ISBN 978-3-8329-2978-7

Schmidt-Bleibtreu, Bruno/ Hofmann, Hans/ Hopfauf, Axel (Hrsg.)
Kommentar zum Grundgesetz.
Carl Heymanns Verlag, 11. Aufl. 2008, geb.
2651 Seiten, 135 €
ISBN 978-3-452-26782-5

Veröffentlicht von on Jul. 6th, 2009 und gespeichert unter BESPRECHUNGEN, LITERATUR. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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