Im Norden Paraguays haben deutschstämmige Mennoniten eine Gesundheitsversorgung speziell für Indianer aufgebaut
Benedikt Vallendar
Loma Plata – Mit knapp achtzig Stundenkilometern fährt der PS-starke Pickup über die Erdpiste. Dabei wirbelt er Staubwolken auf, die noch über Hunderte von Metern zu sehen sind. Blauer Himmel und gleißendes Sonnenlicht hängen über der Steppe. Sie stehen im Kontrast zur satten Vegetation, die den Chaco alljährlich in ein kleines Blütenmeer verwandelt. Die Fahrt führt von der Provinzstadt Loma Plata im Norden Paraguays ins östliche Chacogebiet. Dort leben Indianer vom Stamm der Guaraní, ebenso der Enhlit, Nivacle und der Toba. Hinzu kommen Mestizen und deutschstämmige Mennoniten in weit verstreuten Siedlungen. Meist leben sie nebeneinander, manchmal im Familienverband mit gemeinsamen Kindern und Verwandten. Nur selten kommt es vor, dass Mennoniten und Indianer untereinander heiraten. Der Chaco ist etwa so groß wie Süddeutschland und wird von knapp hunderttausend Menschen bewohnt. Anfang der dreißiger Jahre war er Schauplatz eines blutigen Krieges, des Chaco-Krieges (1932-1935), der viele Opfer forderte.
Am Steuer sitzt Norman Toews (34), Abteilungsleiter bei der Mennoniten-Kooperative Chortitzer in Loma Plata; einer protestantischen Gemeinschaft, die ihren Ursprung in Norddeutschland hat und heute über die ganze Welt verteilt ist. Toews ist unterwegs zu Indianersiedlungen, die von seiner Abteilung betreut werden. „Die Indianer leben überwiegend von der Viehzucht oder verdingen sich als Arbeiter“, sagt Toews. Toews Abteilung nennt sich offiziell „Departamento Cooperación Vecinal“, was so viel wie Nachbarschaftshilfe bedeutet und auch so gemeint ist. Die Abteilung bietet eine breite Palette von Dienstleistungen rund um die Familie an. Hilfen bei der Haushaltsführung etwa oder Beratungsangebote bei familiären Konflikten und im Krankheitsfall.
Vor mehr als zwanzig Jahren haben die Mennoniten im Chaco damit begonnen, eine dezentrale Gesundheitsversorgung für die Indianer zu errichten. Diese nennt sich Ayuda Mutua Hospitalaria (AMH) und ist seit 2006 vom paraguayischen Staat anerkannt. Das System ist denkbar einfach: Der indianische Bauer zahlt fünf Prozent seiner jährlichen Einnahmen in die Krankenkasse, wofür im Gegenzug auch seine Familie Zugang zu medizinischer Behandlung hat. Inzwischen wurde mit dem angesparten Geld auch eine kleine Klinik finanziert. Eine speziell auf die Bedürfnisse der Indianer zugeschnittene Gesundheitsversorgung war notwendig geworden, da sich die Indianer nur ungern von weißen Ärzten behandeln lassen und für viele eine private Versicherung aus Kostengründen ohnehin nicht infrage kommt.
Kontakt zu Familien
Toews Abteilung arbeitet in einem Gebiet, das etwa so groß wie Schleswig-Holstein ist. Mehrmals im Monat besucht er die Siedlungsgebiete der Indianer. Viele von ihnen leben unter Plastikplanen, nur wenige haben sich feste Unterkünfte gebaut, so als ob sie noch immer jederzeit ihre Zelte abbrechen und woanders siedeln wollten, so wie ihre Vorfahren Jahrhunderte zuvor. „Viele Guaraní sprechen Spanisch, manchmal Plattdeutsch, das sie mit uns gelernt haben“, sagt Toews. Meist verrichten sie einfache Tätigkeiten in der Landwirtschaft oder im Gartenbau, in den letzten Jahren auch zunehmend in der Verwaltung.
Zu Weihnachten herrscht im Chaco Hochsommer, was bedeutet, dass die Temperaturen schon mal über 40 Grad gehen können. Ohne Klimaanlage und gekühlte Getränke, ist das für einen Europäer kaum auszuhalten. Norman Toews hat an alles gedacht. Im Innern des Geländewagens ist es angenehm kühl und regelmäßig werden Kaltgetränke von vorne nach hinten gereicht.
Nach zwei Stunden Fahrt nähert sich das Auto der neu errichteten Klinik. Toews kurbelt das Seitenfenster herunter. Eine ältere Dame begrüßt ihn. Alles macht einen gepflegten Eindruck, die frisch geschnittenen Bäume, das zusammen gekehrte Laub und der kurz gehaltene Rasen mit den bunten Blumenreihen entlang weiß gekiester Wegreihen. Auch im Innern kann sich, zumindest auf den ersten Blick, alles an westlichen Standards messen lassen. Maximal drei Patienten liegen in einem Zimmer und werden mehrmals täglich von einem Arzt und Krankenschwestern betreut. Auch das Essen sei gut, meint ein Patient.
Bildung und Gesundheit
Damit möglichst viele Familien von der Gesundheitsfürsorge profitieren, sucht Toews immer wieder das Gespräch mit den Häuptlingen. Nur über diese Schiene erreiche er auch die Familien, sagt er. Denn viele Indianer lebten sehr zurückgezogen und hätten Scheu, von sich aus über Anliegen zu sprechen, sagt er. „Wir bieten Hilfe an, wenn sie gefragt ist und kümmern uns auch um Bildungsfragen“, beschreibt Toews das Aufgabengebiet seiner Abteilung. Bildung und Gesundheit hängen für ihn eng zusammen, sagt er. Leider gehen im Chaco nicht alle Indianerkinder zur Schule, wodurch sie Impfungen oder Reihenuntersuchungen entzogen seien. Der Staat hält sich zurück, obgleich in Paraguay Schulpflicht besteht. Hinzu kommt: „Indianer haben einen anderen Blick auf Krankheiten als unserseins“, sagt Toews. Kräutermedizin etwa spiele bei ihnen eine größere Rolle als unter Weißen, was wohl auch mit der jahrhundertelangen Unterdrückungspraxis seit der Kolonialzeit zu tun hat. „Nachwievor besteht eine große Hemmschwelle gegen vieles, was von außen kommt“, sagt Toews. Was aber auch daran liege, dass Indianer oft die Packungsbeilagen der Medikamente nicht verstünden, weil sie nur unzureichend lesen und schreiben könnten.
Indianer als Nachbarn
Wichtig sei es, unter den Chaco-Bewohnern das Miteinander zu fördern, sagt Toews. Das indianische Gesundheitssystem sei da ein wichtiger Baustein, auch um das filigrane Sozialgefüge in der Region im Gleichgewicht zu halten. Woanders auf der Welt, wissen die Mennoniten, genügen oft schon kleine Anlässe, um ethnische Konflikte zu provozieren. Soweit dürfe es im Chaco gar nicht erst kommen, sagt Toews, niemals. Denn das wäre das Ende auch für die Mennoniten, die bereits in der dritten Generation dort ansässig sind und den Chaco als ihre Heimat betrachten.
Heikel seien Negativreaktionen in der ausländischen Presse, wo Indianer oft pauschal als „Opfer“ gelten, sagt Toews. „Oft wird uns Mennoniten vorgehalten, wir hätten unseren Wohlstand auf dem Rücken der Indianer aufgebaut“, sagt Toews, „Dabei sind wir hier im Chaco alle aufeinander angewiesen, egal welche Hautfarbe wir haben“, sagt er. Das harte Klima und vor allem der chronische Wassermangel ließen gar keine andere Wahl. „Das haben die ersten Mennoniten, die vor achtzig Jahren aus Kanada und Russland hier einwanderten, sehr schnell verstanden und Kooperativen gegründet, die zum Vorbild für ganz Paraguay wurden“, sagt Toews.
Wahrscheinlich ohne zu wissen, dass es einst katholische Missionare, vor allem Jesuiten waren, die bereits im 17. Jahrhundert enge Beziehungen zu den Indianern pflegten, indem sie großflächige Reduktionen mit sozialen und kulturellen Angeboten errichteten. Und damit unwissentlich den Boden für die heute gut funktionierende Zusammenarbeit zwischen Mennoniten und Indianern im Norden Paraguays gelegt haben.