Europäisches Arbeits- und Sozialrecht von Schlachter/Heinig
Matthias Wiemers
Auch das Arbeits- und Sozialrecht hat inzwischen europäische Grundlagen. Zwar ist nicht immer für jedermann nachvollziehbar, warum so manche Regelung gerade des Arbeits- und Sozialrechts heute von Brüssel ausgeht, aber andererseits ist natürlich zu bedenken, dass starke Disparitäten im Niveau der Sozialen Sicherheit schon in den Mitgliedstaaten der EU zu (unerwünschten) Wanderungsbewegungen führen können. „Wirtschaftsflüchtlinge“, Menschen, die aus nachvollziehbaren Motiven heraus handeln, gibt es nicht nur als Drittstaatler. Mitten hinein in die aktuelle „Flüchtlingskrise“ der EU erscheint nun der siebte Band der insgesamt auf zehn Bände angelegten „Enzyplopädie Europarecht“. Der Band wird diesmal von zwei Sozialrechtlern herausgegeben, von denen die erste eher dem Zivil, der zweite eher dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist.
Auch die Herausgeber verweisen im Vorwort auf eine weitgehende europäische Determiniertheit des Arbeits- und Sozialrechts, die sich weiter fortsetzen werde. Gemäß der Ankündigung der Herausgeber folgt der Band der überkommen deutschen Aufteilung in Arbeitsrecht und Sozialrecht.
Schauen wir in den Band hinein, so finden wir ihn in insgesamt fünf Teile (A. bis E.) gegliedert, wobei umfangmäßig das Arbeitsrecht deutlich überwiegt. In dem Abschnitt über „Grundfragen des Europäischen Arbeits- und Sozialrechts“ (A., §§ 1 bis 8) werden zunächst die Arbeitnehmerfreizügigkeit (§ 1 Terhechte), Arbeitsrechtsspezifische Grundrechte (§ 2 Krebber) und Sozialrechtsspezifische Grundrechte (§ 3, Axer) behandelt. Auch in diesem Sammelband wird damit die zunehmende Bedeutung der EU Grundrechte deutlich, die man vor wenigen Jahren noch nicht in eigenen Kapitel gewürdigt hätte. Ebenfalls erst in jüngster Zeit von zunehmender Bedeutung ist die „sozial- und arbeitsrechtliche Relevanz der Unionsbürgerschaft (§ 4, Mangold), während der arbeitsrechtliche Diskriminierungsschutz (§ 5, Kocher) und das sozialrechtliche Antidiskriminierungsrecht (§ 6, Huster/Kiesling) schon etablierte Grundlagen darstellen.
Speziell dem europäischen Arbeitnehmerschutz ist der Teil B. des Handbuchs gewidmet, der mit gut 400 Seiten den größten Teil des Bandes ausmacht. Es geht hierbei um „Betriebsübergang“ (§ 7, Krause), Insolvenzarbeitsrecht (§ 8, Ehrenberg/Heinrich) „Massenentlassung“ (§ 9, Weber) und „Entsendung“ (§ 10, Deinert), womit zunächst die unternehmensspezifischen Regelungen und dann mit „Arbeitszeit“ (§ 11, Bayreuther), „Urlaub“ (§ 12, Rudkowski) und „Nachweis von Arbeitsbedingungen“ (§ 13, Tillmanns) vertragsspezifische Regelungen behandelt werden. Unter „Regelungen besonderer Vertragsverhältnisse werden behandelt: „Teilzeit“ (§ 14, Ulber), „Befristung“ (§ 15, Kamanabrou) und „Leiharbeit“ (§ 16, Forst).
Unter „personalspezifische Regelungen“ fallen „Mutterschutz und Elternzeit“ (§ 17, Nebe/Kiesow). Vor einem Abschnitt zum Arbeits- und Gesundheitsschutz, der nur ein Kapitel zum Europäischen Arbeitsschutzrecht enthält (§ 19, Bücker).
In Teil C. über „Europäische Kollektivrechte“ werden „Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Unternehmerorganen“ (§ 20, Seifert) und „Informations- und Konsultationsrechte, sozialer Dialog und Kollektivvereinbarung“ (§ 21, Greiner/ Hennecken) dargestellt.
Das Sozialrecht, unter dem Titel „Sozialrechtliche Koordinierungsregeln“ ist Gegenstand von Teil D. Hier werden in einzelnen Kapitel alle möglichen Ansprüche, die EU-Bürger in unterschiedlichen Staaten erworben haben können, miteinander in Ausgleich gebracht werden. Anspruchstatbestände, die behandelt werden, sind: Krankheit und Mutterschaft, Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten, Sterbegeld, Invalidität, Alters- und Hinterbliebenenrente, betriebliche Altersversorgung, Arbeitslosigkeit, Vorruhestand, Familienleistungen. Gesondert behandelt werden „ besondere beitragsunabhängige Leistungen“ (§ 32) sowie „Organisation und Verfahren“ (§ 33) und das besondere Gleichbehandlungsgebot der Verordnung über die Arbeitnehmerfreizügigkeit (§ 34, Rixen).
Der letzte Teil (E.) ist einem Problemkomplex gewidmet, der erst seit etwa 15 Jahren eine zunehmende Rolle spielt: dem europäischen Wirtschaftsrecht – Beihilfenrecht, Wettbewerbsrecht, Grundfreiheiten und Vergaberecht jeweils in Bezug auf das mitgliedstaatliche Sozialrecht (§§ 35 bis 37).
Selbstverständlich kommt der Band nicht ohne Bezugnahmen auf das nationale Recht aus – schon weil mitunter erklärt werden muss, wie sich das jeweilige Teilrechtsgebiet entwickelt hat und weil es immer wieder auch um die Frage der richtigen Umsetzung des EU-Rechts in nationale Rechtsvorschriften geht. Es ist aber erstaunlich, wie wenig dies im Text auffällt, mit anderen Worten: wie zahlreich inzwischen namentlich die bereits unmittelbar geltenden Verordnungen der Europäischen Union im Arbeits- und Sozialrecht sind.
Wie schon die Herausgeber im Vorwort erwähnen, gibt es innerhalb des Bandes und mit anderen Bänden thematische Überschneidungen und stellen die Einzelbeiträge eigenständige Abhandlungen dar.
Wer sich fundiert über das vielfach geforderte „soziale Europa“, wie es bereits Realität geworden ist, informieren will, sollte zunächst in diesen Band der „Enzyklopädie Europarecht“ schauen.
Hoffen wir nur, dass (mitglied-)staatliche Behörden gehörig über den umfangreichen Rechtsbestand wachen – damit fairer Wettbewerb herrschen kann!
Monika Schlachter/ Hans Michael Heinig (Hrsg.)
Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, Enzyklopädie Europarecht, Bd. 7.
Nomos Verlag, Baden Baden 2016
ISBN 978-3-8329-7237-0