Euro-Skeptiker Karl Albrecht Schachtschneider über „Souveränität“
Matthias Wiemers
Wer sich als Jurist im Schwerpunkt mit dem Öffentlichen Recht befasst und einmal Positionen quer zu den herrschenden Meinungen kennenlernen möchte, die gleichwohl wohlbegründet sind und dabei gleichzeitig die Deduktionen der eigenen Zunft detailliert zu zerpflücken pflegen, der kann (fast) nur zu den regelmäßig erscheinenden Monographien Karl Albrecht Schachtschneiders greifen, der nicht nur über einen ungewöhnlichen Karriereverlauf als (inzwischen längst emeritierter) Hochschullehrer, sondern auch über eine gewisse Bekanntheit als Prozessführer vor dem Bundesverfassungsgericht in Sachen Europa verfügt.
Der neueste Band behandelt mit der Souveränität einen der vielgedeutetsten Begriffe der Staatslehre überhaupt. Dabei geht es Schachtschneider wie immer in seinen Schriften darum, dem Vorrang des Rechts gegenüber der Macht zum Durchbruch zu verhelfen, indem er immer wieder auch verschleierte Emanationen des Machtdenkens enthüllt. Der Autor weiß sich dabei der Philosophie Immanuel Kants verpflichtet, und sein Gegner heißt deshalb vor allem: Hegel.
Der Band ist in insgesamt zehn Teile gegliedert und beginnt – vielleicht etwas überraschend – mit einem Bericht über die Bedeutung der Souveränität in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das den Begriff verständlicherweise in seinen Entscheidungen zur europäischen Integration verwandt hat.
Im zweiten Teil („Geschichte der Souveränitätslehren“) springt der Autor dann zurück zu Jean Bodin, der gemeinhin als der Schöpfer des modernen Souveränitätsgedankens gilt, berichtet von Hobbes, Rousseau und Kant. Schließlich werden Hegel, Georg Jellinek, Hermann Heller und Carl Schmitt behandelt und schließlich Hans Kelsen. Ordnet Schachtschneider Bodin und Hobbes der Fürstensouveränität, Rousseau und Kant der „aufgeklärten Bürgersouveränität“ zu, sind Hegel, Jellinek, Heller und Schmitt Vertreter der Staatssouveränität. Kelsens „Reine Rechtslehre“ wird als souveränitätskritisch qualifiziert.
Vor diesem Hintergrund werden im dritten Teil „Souveränitätslehren unter dem Grundgesetz“ präsentiert. Hier werden die zu Beginn angesprochenen Juristen fündig – in nicht chronologischer Folge von Wilhelm Hennis bis Ulrich Haltern.
Mit dem vierten Teil beginnt nun die Entwicklung einer Alternative durch Schachtschneider, wobei Tel vier der Klärung einiger staats- und völkerrechtlicher Grundbegriffe gilt. Im fünften Teil schon entwickelt Schachtschneider seinen eigenen Begriff der Souveränität. Dabei wird Souveränität eindeutig als Rechtsprinzip entwickelt, in Abkehr von der Vorstellung, dass es sich dabei um ein Prinzip der Macht handele (A.). Schließlich sei Souveränität Freiheit und nicht Herrschaft (B.).
Im sechsten Teil über „Volks- und Bürgersouveränität“ und im siebten Teil („Freiheitliche Souveränität“) tritt der Autor vor allem der Fehlvorstellung entgegen, wonach das Volk nur die Quelle der Staatsgewalt sei. Schachtschneider betont die Inhaberschaft der Staatsgewalt beim Volk und unterscheidet zwischen der inneren Souveränität als im Inland ausgeübter Staatsgewalt (7. A.) und der äußeren Souveränität als Völkerrechtssubjektivität (B.)
Der achte Teil wendet scheinbar den Blick zurück ins Inland, wo von einer geteilten Souveränität im Bundesstaat gesprochen wird. In Wirklichkeit wird aber bereits hier der Fokus auf die Situation Deutschlands im Verhältnis zu EU gelegt, wobei der BRD ähnlich den Gliedern eines Bundesstaates ein Austrittsrecht zugesprochen wird.
Der neunte Teil widmet sich sodann umfassend der Souveränität Deutschlands, wo nach einer Feststellung der Staatsqualität Deutschlands die Entwicklung seit Ende des Zweiten Weltkriegs referiert wird. Der Teil endet mit einer Verurteilung der fortbestehenden Feindstaatenklauseln in der UNO-Charta.
Der zehnte Teil offenbart nun endgültig, aus welchem Anlass das Buch geschrieben wurde: Schachtschneider will „Souveränitätsverletzungen der europäischen Integration“ offenlegen. Dieses Kapitel sei nicht nur denjenigen empfohlen, die sich wissenschaftlich mit der Entstehung des Souveränitätsbegriffs und seinem Verständnis beschäftigen wollen, sondern auch allen, die sich einen kritischen Blick auf den Zustand unserer Demokratie bewahrt haben. Ach ja: Die EU wird darin übrigens als eine „bürokratische Diktatur“ bezeichnet.
Matthias Wiemers
Karl Albrecht Schachtschneider
Souveränität. Grundlegung einer freiheitlichen Souveränitätslehre. Ein Beitrag zum deutschen Staats- und Völkerrecht
Duncker und Humblot Verlag Berlin 2015
597 S., 99,90 Euro
ISBN: 978-3-428-14683-3