Rechtstheorie jenseits der Freiheit

Jan Schröder ergänzt sein monumentales Werk „Recht als Wissenschaft“ durch einen Band über Drittes Reich und DDR

Matthias Wiemers

schroederRechtstheorie auf der einen und die Geschichte der Rechtswissenschaft in totalitären Systemen hat uns – seit seiner Habilitationsschrift über „Die unbegrenzte Auslegung“ (1968) – vor allem der Konstanzer Zivilrechtler Bernd Rüthers nahegebracht.
Sein Tübinger Kollege Jan Schröder hatte sich erstmals 2010 mit einem großen Werk über die die geschichtliche Entwicklung der juristischen Methodenlehre von 1500 bis 1933 befasst. Jetzt hat er, insoweit auch dieses Thema Rüthers´aufgreifend, in einem kleinen Bändchen ergänzend die gesamtdeutsche NS-Zeit und den ostdeutschen Teilstaat DDR behandelt. Der Autor, nach Auskunft von wikipedia übrigens der Sohn des ehemaligen CDU-Bundesministers Gerhard Schröder, kann hierzu an vielen Stellen an das vorhergehende Buch anknüpfen.
Der Band ist in drei Teile gegliedert, von denen der dritte Teil nur eine knappe Zusammenfassung darstellt. Teile eins und zwei sind jeweils den beiden totalitären Systemen auf deutschem Boden gewidmet und folgen einem einheitlichen Schema: 1. Kapitel: Rechtsquellenlehre, 2. Kapitel: Theorie der Gesetzesinterpretation und 3. Kapitel: Theorie der wissenschaftlichen Rechtsbearbeitung. Dazwischen fallen die Unterkapitel durchaus unterschiedlich aus, was sicherlich der unterschiedlichen Materialfülle sowie der Tatsache geschuldet ist, dass es im NS-System mehr neue Entwicklungen gab und die Akteure in ihrer großen Überzahl später noch in der Bundesrepublik tätig waren. Insoweit dürfen wir schon jetzt hoffen, dass Schröder auch noch über dieses unter dem Schirm der grundgesetzlichen Wissenschaftsfreiheit stehenden System einen entsprechenden Band vorlegen wird.
Was ist nun interessant an dem Band, der zahlreiche Erkenntnisse auch aus der Sekundärliteratur zusammenfasst, was kann man also aus ihm lernen?
Für das NS-System erfährt der Leser etwa, welche Rechtsquellen es dort gegeben hat, welche Rolle etwa der „Führerwille“ oder das Parteiprogramm der NSDAP – früher bekanntlich unter der Ordnungsnummer 19 im Schönfelder abgeheftet – unter den Rechtsquellen spielten. Die Tätertypenlehre im Strafrecht, an die heute nur noch die Formulierung des Mordparagraphen („Mörder ist, wer…“) erinnert, die Neueinteilung des Rechtssystems zeitgleich mit der Verabschiedung einer neuen Studienordnung auf Reichsebene (1935) sowie das auf Carl Schmitt zurückgehende „konkrete Ordnungsdenken“ (1934) sind Elemente, von denen man schon gehört haben kann. Schröder bringt nun alles in ein gewisses System. Im zweiten Teil schickt er einen kleinen Blick auf die Staatspartei SED voran, bevor die dreiteilige Untersuchung beginnt.
Die DDR war wesentlich kleiner als das damals so bezeichnete „Großdeutsche Reich“, existierte aber volle 40 Jahre. Die wesentlich geringere Zahl an Hochschulen mit juristischen Fakultäten und Lehrstühlen ließ weniger Entwicklungen in der Rechtswissenschaft erwarten. Die publizistischen Hinterlassenschaften der DDR in Form einiger zum Teil mehrfach aufgelegter Lehrbücher werden selbstverständlich erwähnt, auch die Ablösung etwa des BGB durch ein Zivilgesetzbuch. Deutlich wird aber auch, dass die Versuche eines Neubeginns durch neue Kodifikationen, die etwa das BGB ablösen sollten, Rechtswissenschaftler in der DDR oftmals auf Literatur aus dem „bürgerlichen“ Westen zurückgreifen ließen.
Alles in allem ist der Band recht knapp gehalten. Er besticht allerdings durch eine umfassende Auswertung der Literatur, die in mehreren Literaturverzeichnissen im Anhang nachgewiesen ist und die sich auch in den Fußnoten jeweils wiederfindet, die jeweils etwa die halbe Seite einnehmen.
Fazit: Eine sinnvolle Ergänzung zu dem 2010 erschienenen Band, erscheint mir der Band allerdings gelegentlich etwas zu gerafft, wenn man bedenkt, wie umfangreich das Material ist, das gerade Autoren wie der eingangs zitierte Bernd Rüthers zusammengetragen haben. Aufgrund der umfangreichen Nachweise lässt sich allerdings der Stoff insgesamt gut erschließen.

Jan Schröder
Rechtswissenschaft in Diktaturen. Die juristische Methodenlehre im NS-Staat und in der DDR
Verlag C. H. Beck, München 2016
146 S., 39 Euro
ISBN 978-3-406-69606-0

Veröffentlicht von on Okt 17th, 2016 und gespeichert unter BESPRECHUNGEN, LITERATUR. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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