Relativ gute Freunde

Gewaltexzesse haben auf dem Balkan eine lange Tradition. Rückblickend war Deutschland Täter und Vermittler zugleich, weiß die Münchner Historikerin Marie-Janine Calic

Benedikt Vallendar

suedeuropaMünchen / Belgrad – Er gehörte zu seinen wenigen Gegnern, die Hitler wirklich ernst nahm: Josip Broz Tito, Kommunist, Partisanenkämpfer und Jahrzehnte lang die unumstrittene Nummer eins im damaligen Jugoslawien. Als der gelernte Schlosser 1980 verstarb und sein Vielvölkerstaat in einen blutigen Bürgerkrieg glitt, kochten ethnische, kulturelle und religiöse Konflikte hoch, die das einende Band des Kommunismus nur scheinbar überdeckt hatte. Erst mit Hilfe der USA gelang es später, den Bürgerkrieg zu beenden und die entstandenen Teilstaaten an die Europäische Union heranzuführen.

Mit Akribie und Esprit entführt Marie–Janine Calic, Geschichtsprofessorin an der LMU München, in ihrem neuen Buch „Südosteuropa – Weltgeschichte einer Region“ den Leser in die Vergangenheit und Vielfalt einer Region, mit der die Bundesrepublik von jeher verbunden ist. Nach den blutigen Exzessen, die Wehrmacht und Einsatzgruppen der SS während des zweiten Weltkrieges auf dem Balkan anrichteten, bemühte sich Westdeutschland um ein entspanntes Verhältnis zu Jugoslawien, von wo in den sechziger Jahren auch zahlreiche Gastarbeiter kamen, um bei uns zu arbeiten, zu leben – und zu bleiben. Calic, die selbst familiäre Wurzeln auf dem Balkan hat, zeichnet das Porträt einer Region, die seit der Römerzeit Dreh- und Angelpunkt der Weltgeschichte war und wo mit der Ermordung des österreichischen Thronfolgers 1914 der erste Weltkrieg begann.

Stets spielte Deutschland auf dem Balkan eine ambivalente und teils auch umstrittene Rolle. Bei der diplomatischen Anerkennung Kroatiens im Jahre 1992 auf Weisung des damaligen Außenministers Genscher ebenso wie bei der Beteiligung am NATO-Angriff auf das von Slobodan Milosevic regierte Serbien im Jahre 1999. In seiner Balkanpolitik bewegte sich Deutschland stets zwischen Ausgleich, Angriff und Abgrenzung.

Wer das Buch gelesen hat, wird den Balkan mit anderen Augen sehen und vielleicht sogar Appetit bekommen, seine nächste Urlaubsreise dorthin zu planen.

Calic, Marie-Janine
Südosteuropa. Weltgeschichte einer Region
C.H. Beck Verlag, München 2016

704 S.: mit 41 Abbildungen und 7 Karten. Gebunden, 38 Euro
ISBN 978-3-406-69830-9

Veröffentlicht von on Okt 31st, 2016 und gespeichert unter BESPRECHUNGEN, LITERATUR. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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