Rufe aus der Sicherheit des Schweigens

Carl Schmitts „Glossarium“ wurde neu aufgelegt

 

Matthias Wiemers

schmitt

Der Historiker Dirk van Laak hat im Jahre 1993 mit seiner Dissertation über Carl Schmitt in der Geistesgeschichte der frühen Bundesrepublik geschildert, in welche Netzwerke der nicht mehr auf einen Lehrstuhl gelangte Carl Schmitt eingebunden war, mit wem er sich traf und – vor allem –: mit wem er sich Briefe schrieb. Ausgangspunkt allen Tuns war dabei der Geburtsort Schmitts im Sauerländischen: Plettenberg, in das er sich bis zu seinem Lebensende im Jahre 1985 zurückzog.
Der frühere Schmitt-Mitarbeiter Eberhard von Medem hatte 1991 – zwei Jahre vor seinem Tod – noch das „Glossarium“ Schmitts herausgebracht, das aus Tagebuchaufzeichnungen aus den Jahren 1947 bis 1951 bestand und damit die bis heute jüngsten veröffentlichten Tagebücher Schmitts wiedergab.
Mit dem Glossarium waren einige Schmitt-Experten nicht recht zufrieden und machten mehr oder weniger Fehler aus, die man bei einer Neuauflage doch beseitigen könnte. Dieser Neuauflage haben sich mit den Herausgebern Gerd Giesler und Martin Tielke eine ganze Reihe weiterer Personen angenommen und haben hierfür weiteres Tagebuchmaterial, das uns bis Ende 1958 führt, ebenfalls ausgewertet und in den Band aufgenommen. Das Buch erschien rechtzeitig zur Frankfurter Buchmesse 2015, allerdings hatte der Rezensent nicht früher Zeit gefunden, den umfangmäßig deutlich erweiterten Band zu lesen.
Was ist nun zu solchen Aufzeichnungen zu sagen? Zunächst einmal: Jeder Tagebuchschreiber hat seinen eigenen Stil, wobei der Stil Carl Schmitts beispielsweise durch die in den letzten Jahren in unregelmäßiger Folge im Akademie-Verlag bzw. ebenfalls bei Duncker & Humblot erschienenen Tagebücher des jüngeren bekannt schien.
Wer aber nun glaubte, hier wieder mit Banalitäten des Alltags behelligt zu werden, die sich hauptsächlich zwischen Speis und Trank auf der einen und Amouren auf der anderen Seite bewegen, wird angenehm überrascht – wenn auch der den gesamten Text durchziehende selbstgerechte Grundton des von der breiten Öffentlichkeit Geächteten nicht jedem gefallen mag. Was erfahren wir nun in diesem im August 1947 einsetzenden Band?
Da sind zunächst vor allem Lesefrüchte, die Schmitt möglicherweise am jeweiligen Tage selber, aber sicherlich oftmals auch vor Jahren und Jahrzehnten hatte. Er fügt auch – wie schon in anderen Tagebüchern – selbst Verweisungen in die Seiten ein, die er bei wiederholter Lektüre gewinnt. In dieser Zeit der Entstehung der Aufzeichnungen selbst hat Schmitt wieder Zeit zur Lektüre wie möglicherweise Jahrzehnte zuvor nicht mehr. Er hatte nur noch Verpflichtungen, die er selbst einging. Anlässe waren das (Wieder-)Erscheinen eigener Werke oder solcher von anderen, die er las und zumindest in seinem Tagebuch kommentierte. Das Buch ist allerdings auch Dokumentation von Briefentwürfen, die er offenbar zunächst im Tagebuch und dann durch Abschrift erstellte. Wir finden deshalb an zahlreichen Stellen Vermerke darüber, wohin Schmitt den jeweils vorstehenden Text als Brief geschickt hat.
Natürlich äußert sich Schmitt auch über Kollegen, negativ etwa über Erich Kaufmann und Hans Peters. Von seinen Schülern kommt – nicht überraschend – Ernst Friesenhahn nicht gut weg, der etwa um diese Zeit als Bundesverfassungsrichter tätig ist. Der nach den USA ausgewanderte Sozialist Otto Kirchheimer unterhielt allerdings offenbar einen eher positiv zu qualifizierenden Kontakt zu seinem Doktorvater.
Es ist hier nicht genug Raum, um auf viele Einzelheiten einzugehen. Natürlich stellt sich der Leser die Frage, warum Schmitt sich einige Jahre in einem Näheverhältnis zum NS-Regime befand und wie er zur Zeit der Abfassung seiner Tagebücher darüber dachte. Denn sein Verhalten in der Zeit von 1933 bis 1936 war ja der Grund dafür, ihn als „Kronjuristen“ des Dritten Reichs zu qualifizieren und nicht wieder in den Kreis der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer aufzunehmen sowie auf einen Lehrstuhl zu berufen.
Zur Frage seines Verhältnisses zum NS-Regime finden wir eine Eintragung im Zusammenhang mit seinem nach dem sog. Röhm-Putsch 1934 in der Juristischen Wochenschrift erschienenen Aufsatz „Der Führer schützt das Recht“. Hierzu heißt es im Glossarium (S. 362): „Es wäre ihm (gemeint ist Hitler) sehr unangenehm gewesen, damit beim Wort genommen zu werden wie ich das mit meinem Aufsatz ,Der Führer schützt das Recht´ naiverweise versucht habe, in einem Aufsatz, dessen Kühnheit, ja Verwegenheit keiner damals begriff.“
Daneben ist sicherlich interessant, wie Schmitt die Verfassungsgebung in Bund und Ländern nach der Wende des Zweiten Weltkriegs sah. Hierzu finden sich erstaunlich wenig Stellen, aber es gibt sie. Zum Grundgesetz ein kurzes Zitat vom 25. April 1949: „Haben sie immer noch nicht begriffen, daß ein Grundgesetz in sich selbst heute etwas viel Scheußlicheres ist als ein Organisations-Statut? Das Fremd-Wort ist das Mildere, das Eigenwort bezeichnet nur noch den Schund“ (S. 176).
Ein weiteres Thema, das den Band durchzieht, ist die Auseinandersetzung mit den Prozessen zur Bewältigung des NS-Unrechts in Nürnberg, die Schmitt in Beziehung setzt zu seiner Erkenntnis der „Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff“.
Passend zum aktuellen Thema Digitalisierung erscheint die folgende Sentenz: „Die Flucht vor der Freiheit ist in concreto nichts anderes als die Flucht in die Technik“ (22. 4. 1948, S. 101).
In bewundernswerter Weise haben die Bearbeiter an den Schluss des Bandes (S. 405 ff.) einen Kommentar gesetzt, mit dem sie den Tagebuchtext durchgehend kommentieren, wo ihnen dies möglich erschien. Hierin finden wir vor allem die Auflösung zahlreicher Anspielungen auf Personen der Geistesgeschichte bzw. solche, mit denen Schmitt unmittelbar Kontakt hatte. Der Band lässt sich neben dem Weg über den Kalender auch über das umfangreiche Personenregister ganz am Ende erschließen.
Alles in allem: Die Publikation hat sich gelohnt, und auch die Lektüre kann sich lohnen. Dem Verlag, der sich der Pflege des Werks seines langjährigen Autors immer wieder annimmt, kann man hinsichtlich des damit gewiss eingegangenen Wagnisses dankbar sein.

Carl Schmitt, Glossarium. Aufzeichnungen aus den Jahren 1947 bis 1958. Erweiterte, berichtigte und kommentierte Neuausgabe, herausgegeben von Gerd Giesler und Martin Tielke, Duncker & Humblot, Berlin 2015, geb. 557 S., 69,90 (ISBN 9783428144860)

 

Veröffentlicht von on Nov 7th, 2016 und gespeichert unter BESPRECHUNGEN, LITERATUR. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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