Sommerserie: Juristen in der Politik. Eine Stilkritik

Teil 3: Renate Künast

Thomas Claer

Unseren Parteien fehlen die guten Köpfe, hört man immer. Für eine Partei gilt das aber ganz und gar nicht: für Bündnis 90 / Die Grünen. Dort wetteifert seit langem unbestritten eine Vielzahl versierter und prominenter Politiker um die naturgemäß begrenzte Anzahl an lukrativen Ämtern. Doch entstammen diese Charakterköpfe – abgesehen vom ebenfalls fabelhaften anatolischen Schwaben – allesamt der (westdeutschen) Generation der heute 50- bis 65-Jährigen, wurden also in den wilden Siebzigern sozialisiert, als politisches Engagement zumeist vom scharfen Widerspruch zu den bestehenden Verhältnissen getragen wurde. Das prägt für ein ganzes Leben. Wer aus einer Protestkultur kommt, der hat eben eine Überzeugungskraft, die all den Westerwelles, Heils und Pofallas für ewig abgehen wird, mögen sich auch die vertretenen Ansichten mit der Zeit geändert haben. So auch bei Renate Künast, 54, tiefverwurzelt im Westberliner Alternativmileu. Einst war sie ein Schreckgespenst wohlbehüteter Bürgerlichkeit als Fraktionschefin der Alternativen Liste, die 1990 die rot-grüne Koalition in Berlin unter Walter Momper platzen ließ. Die AL war damals der radikalste Haufen unter allen Grünen Landesverbänden, in kritischer Solidarität stehend zu Hausbesetzern und Krawallmachern. Wie die meisten Alternativen jener Tage stammt Künast aus der westdeutschen Provinz (Recklinghausen) und kam in den späten Siebzigern aus Abenteuerlust in die Frontstadt Westberlin. Von 1977 bis 1979 arbeitete sie als Sozialarbeiterin in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel, speziell mit Drogenabhängigen. Dann studierte sie Jura an der FU – und zwar (anders als es damals szeneüblich war) ziemlich fix. Schon 1985 hatte sie beide Examen in der Tasche und ließ sich als Rechtsanwältin zulassen, trat als solche aber kaum in Erscheinung. Als in den Achtzigern und Neunzigern die – heute fast vergessenen – Flügelkämpfe zwischen grünen Fundis und Realos eskalierten, erklärte sie sich zur „pragmatischen Linken“ und baute so den einstigen Fundamental-Kräften der Partei eine Brücke zur Macht. Der große Durchbruch kam 2001 mit der Berufung zur Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ins Kabinett Schröder. Man suchte damals jemanden, der nach dem Gammelfleisch-Skandal mal so richtig aufräumte, der Nahrungsmittelindustrie mal so richtig den Marsch blies – und kam schnell auf Renate Künast. Wenn man neben ihr steht, glaubt man zunächst kaum, dass diese kleine, zierliche Frau eine solche Energie ausstrahlen kann. Das Wort der Power-Frau machte damals die Runde. Und heute? Da hat sie als Fraktionsvorsitzende ihrer Partei bislang erfolgreich die innerparteiliche Konkurrenz weggebissen, marschiert wie ehedem munter von Talkshow zu Talkshow, entrüstet sich lautstark und mit markigen Sprüchen („Merkel will im Schlafwagen an die Macht“) über echte und vermeintliche Skandale – und schießt gerne auch rein vorsorglich in alle Richtungen. Unser Politikbetrieb ohne Renate Künast? Undenkbar.

Veröffentlicht von on Aug 31st, 2009 und gespeichert unter DRUM HERUM. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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