Ein Sammelband über kritische, feministische und linke juristische Persönlichkeiten
Matthias Wiemers
Nicht zu Unrecht sagt man den Juristen einen gewissen konservativen Grundzug nach. Recht ist schließlich „geronnene Politik“, und das geschriebene Recht ist grundsätzlich anzuwenden, trägt eine Vermutung für seine Rechtmäßigkeit und Geltung in sich. Anders ist es in der Rechtspolitik und auch bei denen, die sich mit der aus überkommenden Anschauungen gespeisten „h. M.“ nicht abfinden wollen. Wer sich selbst nicht nur für konservativ hält, sondern auch nicht bereit ist, die ein oder andere Position zu überdenken und zumindest anzuerkennen, dass jedenfalls in der Vergangenheit die ein oder andere Rechtsposition als Ausdruck einer gesellschaftlichen Lage zum Glück überwunden wurde, der sollte hier nicht weiterlesen. Wer aber zumindest Interesse an der rechtspolitischen Entwicklung der letzten einhundert Jahre hat, dem sei das nachfolgend beschriebene Buch schon hier empfohlen.
Das hier vorzustellende Werk ist die Fortsetzung eines im Jahre 1988 an gleichem Ort erschienenen Bandes mit 39 biographischen Beiträgen über Juristen, die von der Zeit des späten 18. Jahrhunderts bis in die 1980er Jahre lebten. Auch dieser Band ist noch erhältlich – nicht nur antiquarisch.
Der neue Band enthält 25 Portraits von Personen, die leider nicht alle Juristen sind. Bei der Darstellung der Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Hedwig Dohm wird dies gleich zu Beginn eingeräumt; bei Leopold Kohr, der u. a. auch Jurist war, wird hierauf im Text praktisch nicht eingegangen. Die übrigen Beiträge betreffen allesamt Juristen, und zwar Strafverteidiger (Alfred Apfel, Sebastian Cobler, Werner Holtfort), (sozialistische) Politiker (Otto Bauer, Diether Poser), Pionierinnen unter männlichen Juristen (Magarete Berent, Marie Munk, Anna Mackenroth, Nora Platiel, Marie Raschke, Magdalene Schoch), Künstler (Franz-Josef Degenhardt, Franz Kafka, Kurt Tucholsky), Wissenschaftler (Eugen Ehrlich, Winfried Hassemer, Helmut Ridder, Jürgen Seifert, Helmut Simon, Edda Weßlau) und wenige weitere Personen. Allesamt wird man sie als politisch links stehend und die Frauen unter ihnen für die Emanzipation derselben kämpfend ansehen können. Die übrigen kämpften (ebenfalls) für Demokratisierung und Gleichberechtigung – mit je unterschiedlicher Schwerpunktsetzung und jeweils in den eigenen konkreten gesellschaftlichen Kontext hineingestellt. Die Portraits sind allesamt lesenswert und mit erkennbar großer Sorgfalt ausgearbeitet. Nur in einzelnen Fällen hätte man sich vielleicht etwas mehr Informationen gewünscht, aber die Quellenlage dürfte zweifellos sehr unterschiedlich ausgefallen sein.
Der Band wird beschlossen durch einige ebenfalls sehr lesenswerte Interviews mit Akteuren der jüngeren rechtspolitischen Vergangenheit. Zu den RAF-Prozessen werden die Rechtsanwälte Heinrich Hannover, Hans-Christian Ströbele und Rupert von Plottnitz befragt.
Die Professoren Wolfgang Hoffmann-Riem (Hamburg) und Alfred Rinken (Bremen) dürfen sich zur früheren (norddeutschen) einstufigen Juristenausbildung als einem Experiment der siebziger und frühen achtziger Jahre äußern.
Ein weiteres Interview wurde mit „feministischen Juristinnen in der Bundesrepublik“ geführt, und am Schluss wird ein ehemaliger Staatsanwalt zum Umgang mit NS-Juristen in den 1980er Jahren befragt.
Kritisch muss hier nur angemerkt werden, dass der Band in der Gesamtschau nicht nur kritische Juristen portraitieren will, sondern selbst ein Stück Rechtspolitik betreibt. Dies wird deutlich nicht nur an der bereits angesprochenen Nicht-Juristin Hedwig Dohm, sondern auch daran, dass zumindest das Interview zur Einstufigen Juristenausbildung nicht recht in den Kontext passen will. Denn zwar haben sich auch „kritische“ Juristen für diese Art der Juristenausbildung eingesetzt, aber die Reform des Jurastudiums ist praktisch so alt wie dieses Studium selbst. Die feministische und geschlechtsneutrale Schreibweise mag auch nicht jedem gefallen. An der dennoch uneingeschränkten Leseempfehlung für reflektierende Juristen ändert dies jedoch nichts.
Kritische Justiz (Hrsg.), STREITBARE JURISTiNNEN. Eine andere Tradition. Band 2, Nomos Verlag, Baden Baden 2016, 678 S., 38 Euro (ISBN 978-3-8487-0003-5)