Frank Schorkopf setzt für ein noch junges Rechtsgebiet neue Maßstäbe
Matthias Wiemers
Vor etwa 20 Jahren traten neben die etablierten Lehrbücher zum „Europarecht“ solche, die sich „Staatsrecht III“ nannten und die Bezüge des Grundgesetzes zum Völker- und Europarecht vermittelten. Es waren knappe Darstellungen, die umfangmäßig regelmäßig hinter „Staatsrecht I“ und „Staatsrecht II“ zurückblieben, während zuvor schon Albert Bleckmann und Rudolf Geiger mit ihren Lehrbüchern zu „Grundgesetz und Völkerrecht“ das Europarecht ausgespart hatten.
Dass man das Lehrgebiet „Staatsrecht III“, dem inzwischen vielfach eigene Vorlesungen gewidmet sind, auch breiter darstellen kann, zeigt uns nun Frank Schorkopf mit seinem bei Beck erschienenen „Großen Lehrbuch“, das er umfassend anlegt und „Staatsrecht der internationalen Beziehungen“ nennt.
Thematisch weit ausgreifend, beginnt Schorkopf mit dem Thema „Rechtsquellenarchitektur“, worin er die für das von ihm umrissene Rechtsgebiet maßgeblichen Rechtsquellen darstellt – aus dem Staatsrecht, dem Völkerrecht und dem Europarecht. Es werden sodann die Verhältnisse unter den drei Rechtsordnungen zueinander geklärt und Konfliktlösungsregeln präsentiert.
Im zweiten Kapitel „Kompetenzbereiche“ dekliniert Schorkopf nicht etwa die Kompetenztitel des Grundgesetzes wie der EU-Primärrechts durch, sondern geht von dem Verfassungsstaat als Territorialstaat und seinem Staatsgebiet aus und entwickelt von dort aus die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten der Staaten und der EU. Die Gebietshoheit wird ergänzt durch die Personalhoheit und die Verantwortlichkeiten, die sich aus der Staatsangehörigkeit ergeben. Auch der Cyberspace wird hier kurz abgehandelt (Rdnr. 122 ff.)
Der Band wird durch zahlreiche Beispiele aus der Staats- und Staatenpraxis unterlegt.
Hier hätte man sich an geeigneter Stelle vielleicht Ausführungen zum europapolitisch so oft angeführten Herkunftslandsprinzip gewünscht, dem man über die drei Ebenen Staat, Union und Völkergemeinschaft durchaus Aspekte hätte abgewinnen können, die es als praktischen Anwendungsfall eines Staatsrechts der internationalen Beziehungen erscheinen ließen.
Das dritte Kapitel (§ 3) ist der „Einbeziehung überstaatlichen Rechts“ gewidmet und beginnt sogleich mit der vom Autor so bezeichneten „Schlüsselnorm“ Artikel 25 GG. Es folgen die völkerrechtlichen Verträge nach Art. 59 und eine Abrundung durch „Besondere Rechtsquellen und Praktiken“, wo es etwa um das EU-Sekundärrecht, die innerstaatliche Anwendung ausländischen Rechts und „Softlaw“ geht.
Missverständlich ist der Titel des vierten Kapitels: „Föderales Verhältnis: Bund und Länder“. Hierbei geht es letztlich um eine Darstellung der unterschiedlichen Facetten der Auswärtigen Gewalt nach dem GG und wie die Verfassung sicherstellt, dass diese Gewalt nach außen effektiv wirken kann. Als relativ praxisrelevant kann die Behandlung der „Beteiligung der Länder an EU-Angelegenheiten“ (§ 4, Rdnr. 78 ff.).
Kapitel 5 ist der „Willensbildung im parlamentarischen Regierungssystem“ gewidmet und meint hier, welchen Organen jeweils die Zuständigkeiten zukommen, um die Auswärtige Gewalt zu bilden.
„Frieden – Krieg – Sicherheit“ ist der Dreiklang des § 6. Hier ist besonders hervorzuheben, dass das Kapitel sowohl eine knappe Darstellung über den Streitkräfteeinsatz im Ausland enthält, der mit dem Begriff „Parlamentsheer“ sicher nur im Ansatz beschrieben ist (Abschnitt C., Rdnr. 34 ff.), als auch sodann noch das „Recht im Auslandseinsatz“ erklärt, was in der Literatur so gut wie gar nicht im Zusammenhang vorhanden war (D., Rdnr. 88 ff.), und was schließlich sinnvoll ergänzt wird durch eine Darstellung der „Auslandstätigkeit von Sicherheitsbehörden“ (F., Rdnr. 127 ff.).
Nur ein Wort kennzeichnet den Inhalt des siebten Kapitels: „Verantwortlichkeit“. Hier geht es um die Staatenverantwortlichkeit und um das Handeln von Individuen, das Staaten zugerechnet wird, um Staatshaftungsrecht und um Strafrecht (§ 7). Dem „Grund- und Menschenrechtsschutz“ (§ 8) mangelt es nicht gerade an eigenständigen Darstellungen, aber natürlich gehört er auch in ein so breit angelegtes Werk hinein. Besonders interessant sind die hier aufgezeigten neuen Dimensionen von Verantwortlichkeit – Stichwort Corporate Social Responsibility -, die Schorkopf in einem Exkurs über die mögliche Bindung von Unternehmen an Menschenrechte aufzeigt (Rdnr. 143 ff.).
Der Band schließt mit zwei Querschnittskapiteln. In § 9 werden „Hauptprobleme“ des Staatsrechts der internationalen Beziehungen behandelt, die mit den Stichworten Selbstbestimmung („Souveränität“), Legitimation, „Verfassungsidentität“, das Konzept der „offenen Staatlichkeit“ und das Verhältnis von Recht zu Politik umschrieben seien.
Hat Schorkopf dem Rechtsgebiet „Staatsrecht III“ mit seinem Großen Lehrbuch einen neuen Namen gegeben, so zeichnet er im Schlusskapitel (§ 10) die „Wissenschaftsgeschichte“ dieses Teilgebietes des öffentlichen Rechts nach, liefert also praktisch eine Rechtfertigung für die von ihm vorgenommene Grundlegung einer Disziplin (und konnte hierfür in Göttingen auf eine der größten Bibliotheken Deutschlands zurückgreifen).
Im Anhang finden sich einige nützliche Dokumente und Übersichten, teilweise nur in Auszügen, darunter das Lindauer Abkommen von 1957 und eine Übersicht der einschlägigen Entscheidungen des BVerfG.
Fazit: Dem Göttinger Ordinarius ist ein ausgezeichnetes Werk gelungen, das sich ausgezeichnet in die beiden Bände zum Staatsrecht I und II von Kloepfer einreiht und das uns nicht zuletzt eines zeigt: Dass von der Georgia Augusta in Göttingen auch heute noch wichtige Impulse ausgehen können – allen – hier als „Stiftungsuniversität“ bemäntelten – Sparbemühungen von Wissenschaftspolitikern zum Trotz.
Frank Schorkopf, Staatsrecht der internationalen Beziehungen, Verlag C. H. Beck, München 2017, 707 S., 99 Euro (ISBN 9783406707834)