Ein aus Nordkorea geflohener Offizier berichtet über die Zustände in seinem Land
Benedikt Vallendar
Frankfurt am Main – Noch immer fällt es Joo Il Kim fällt schwer, über das zu reden, was er erlebt hat. Gleichwohl er seit Jahren in London lebt, und die Vergangenheit weit zurück liegt. Mit stockender Stimme und nur mit Hilfe einer Dolmetscherin stellt er sich auf einer Pressekonferenz im Frankfurter Gewerbegebiet den Fragen der Journalisten. Kims Leben ist geprägt von Elend, Verfolgung und Unterdrückung; aber auch von großem Glück, das er hatte. 2005 gelang dem damaligen Hauptmann der nordkoreanischen Armee die Flucht nach Südkorea. Kims Einheit war an der Südgrenze stationiert, so dass er wusste, wann und wo welcher Abschnitt unbewacht war und wo keine Minen lagen. „Meine Männer schliefen, als ich mich nachts raus schlich und über einen Fluss auf die andere Seite gelangte“. Seine Kleider hatte er zuvor zu einem Bündel geschnürt, um auf den glitschigen Steinen eine feste Unterlage zu haben. Unbemerkt gelang Kim die Flucht in die Freiheit. Auf Einladung der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) in Frankfurt am Main weilt er zurzeit in der Bundesrepublik, um über sein Schicksal und das seiner Landsleute zu berichten. „In Nordkorea herrscht ein Prozent der Bevölkerung über den Rest“, bringt Kim die politischen Zustände in seiner Heimat auf den Punkt. Längst ist die Herrschaft der Kommunisten unter Kim Jong-un eine Erbmonarchie geworden; mit Titeln, Pfründen und unsäglicher Willkür gegenüber dem gemeinen Volk, das Kommunisten ja gerne zu vertreten vorgeben. Nach unbestätigten Schätzungen leben in Nordkorea gegenwärtig 150.000 Menschen wegen politischer Vergehen in Lagerhaft, darunter auch solche, die sich öffentlich zu ihrem christlichen Glauben bekennen. Wobei die Nachrichtenlage uneinheitlich ist. Einerseits sollen nordkoreanische Christen ihren Glauben in Untergrundkirchen und privaten Zirkeln praktizieren. Nach anderen Quellen gibt es keine hinreichenden Belege für eine nordkoreanische „Untergrundkirche“, da das Regime jedes abweichende Denken und Handeln schon im Keim ersticken würde. Flüchtlinge berichten immer wieder von Folter, Vergewaltigungen und willkürlichen Hinrichtungen, die in den Lagern an der Tagesordnung seien. Inwieweit Christen davon betroffen sind, ist unklar. Dennoch sind sie besonders gefährdet, da für sie Jesus und nicht die kommunistische Partei lebensbestimmend ist.
Nützliche Devisenbringer
Für die Regierung in Pjöngjang sind einige der Häftlinge vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht interessant. „Die Regierung hält Gefangene wie Sklaven, indem sie sie auf ausländischen Baustellen einsetzt und damit Devisen verdient“, beklagt IGFM-Sprecher Martin Lessenthin. Seit Jahrzehnten schuften nordkoreanische Häftlinge in China und Russland, und erst kürzlich gelangten Fälle aus dem EU-Land Polen an die Öffentlichkeit, wo zurzeit 475 Nordkoreaner als weitgehend unbezahlte Bauarbeiter in Warschau, Krakau und Danzig eingesetzt werden. „Sie leben wie Sklaven in mit Stacheldraht umzäunten Containerlagern und sind rechtlos“, sagt Lessenthin. Mehr als hundert Nordkoreaner schuften nach Recherchen des norwegischen Magazins „Josimar“ unter miserablen Bedingungen auf der Baustelle des russischen WM-Stadions in Sankt Petersburg. Schon vor Jahren hatten Menschenrechtler auf die Situation der nordkoreanischen Sklavenarbeiter hingewiesen und international Protest erhoben. „Die Arbeiter werden fast rund um die Uhr überwacht und haben kaum Kontakt zur Außenwelt“, sagt Kim. Es gibt auch Fälle, in denen die nordkoreanische Regierung zumindest in Ansätzen den Schein von Rechtsstaatlichkeit wahrt. „Man wirbt Menschen für zehn Jahre an, indem man ihnen höhere Reisrationen und gewisse Vorteile für die Familien verspricht“, erklärt Kim. Doch ginge in der Regel neunzig bis fünfundneunzig Prozent ihres Lohns an die Regierung. Zwischen 50.000 und 100.000 Nordkoreaner sollen jährlich, laut UN-Angaben, an Auftraggeber rund um den Globus vermittelt werden, vor allem in den Nahen Osten und nach Südostasien. „Bei Ankunft wird ihnen im Gastland der Reisepass entzogen, damit sie nicht mehr ausreisen können“, sagt Kim. Die einbehaltenen Löhne nutze die kommunistische Herrschaftsclique in Pjönjang zum Kauf von Luxusgütern, aber auch für das umstrittene Atomwaffenprogramm. Auf der WM-Baustelle von Sankt Petersburg müssen die Nordkoreaner in ungeheizten und überfüllten Containern schlafen. Wer aufmuckt, kassiert Drohungen und offene Gewalt. „Diese Menschen sind wie Roboter. Alles, was sie tun, ist arbeiten, arbeiten und nochmals arbeiten. Von sieben Uhr morgens bis Mitternacht. Jeden Tag. Sie haben kein Leben“, beschreibt Kim den Tagesablauf seiner Landsleute, zu deren Angehörigen hin und wieder Informationen durchsickern, die dann über Kassiber in den Westen gelangen. „Karl Marx würde sich im Grabe umdrehen, wüsste er, was in seinem Namen alles geschieht“, zeigt sich eine der Zuhörerinnen in Frankfurt schockiert. „Wer weiß“, antwortet ihre Nachbarin, „vielleicht war es genau das, was Marx mit ‚Revolution‘ und ‚Diktatur des Proletariats‘ gemeint hat…“