Gerichtsgeschichten aus Schwetzingen, Teil 16
Pinar Karacinar
Es war vor dem Schwetzinger Amtsgericht wieder eine der Verhandlungen, in der ein Arbeitsloser zu hohe Bezüge von der Arbeitsagentur erhalten hatte und sich deswegen vor Gericht dem Vorwurf des Betrugs stellen musste. Auch war die Sachverhaltsaufklärung wieder einmal äußerst schwierig, weil die Arbeitsagentur die Daten des Leistungsempfängers bereits gelöscht hatte.
Dem 40-jährigen Angeklagten aus Schwetzingen wurde zur Last gelegt, zu Unrecht Bezüge von der Arbeitsagentur in Höhe von insgesamt 1.220 Euro erhalten zu haben. Der Vorwurf an den arbeitslosen Mann bestand darin, dass er Arbeitslosengeld bezog und nicht gemeldet hätte, dass er sich als Aushilfe noch etwas dazu verdiene.
Der Angeklagte erklärte in der Hauptverhandlung der Vorsitzenden Richterin H., dass er sich eigentlich an gar nichts mehr erinnern könne. Er hätte zum Tatzeitpunkt wegen seiner Überschuldung eine sehr schwierige Zeit durchgemacht. Dies wäre sogar so weit gegangen, dass er ganze dreieinhalb Jahre lang seine Post nicht geöffnet und auch nicht sein Konto überprüft hätte. „Ich war mit der Situation völlig überfordert, es war ein Verdrängungsmechanismus“, erklärte der 40-Jährige. Auch sein Verteidiger bestätigte, dass es eines der Symptome der psychologischen Verdrängung wäre, wenn die Betroffenen nicht mehr ihre Post öffnen würden. „Zu diesem Zeitpunkt habe ich vom Sammeln von Pfandflaschen gelebt“, erzählte der Angeklagte weiter.
Das einzige, woran er sich noch erinnern könnte, wäre, dass er einer jungen gehbehinderten Dame am Empfang der Arbeitsagentur seine Arbeitsaufnahme gemeldet hätte. Diese konnte der Angeklagte wiederum nicht durch irgendwelche Unterlagen untermauern. Eine als Zeugin geladene Verwaltungsfachangestellte der Arbeitsagentur erklärte im Zeugenstand, dass keine entsprechenden Daten mehr bei der Arbeitsagentur vorhanden wären. „Es ist theoretisch möglich, dass der Angeklagte seine Beschäftigung bei uns angegeben hat und dies gelöscht wurde“, erklärte sie dem Gericht. Aber die bloße Meldung am Empfang würde nicht ausreichen, erklärte die Dame von der Arbeitsagentur, die Leistungsempfänger müssten noch zusätzlich Unterlagen schicken, aus denen hervorgeht, wie viel sie verdienen.
In seiner Befragung hakte der Verteidiger bei der 39-jährigen Verwaltungsangestellten nach, ob sie sich an eine gehbehinderte junge Kollegin erinnern könne. Diese Frage bejahte die Zeugin. Dennoch kam das Gericht nicht weiter in der Frage, ob der Angeklagte seine Arbeitsaufnahme tatsächlich der Arbeitsagentur gemeldet hatte. Die Staatsanwaltschaft und die Vorsitzende Richterin H. zogen aufgrund dessen eine Einstellung des Verfahrens in Betracht.
Der Verteidiger des Angeklagten hingegen hatte in der Akte ein Fax der Arbeitsagentur entdeckt, welches den Eingang von Unterlagen bestätigte. Zwar ging aus dem Fax nicht hervor, wer es geschickt hatte und um welche Unterlagen es sich handelte, aber es war dennoch ein Ansatzpunkt. Gemeinsam mit dem Gericht und der Staatsanwaltschaft rekonstruierte der Verteidiger, dass dieses Fax die Angaben des Angeklagten und die gängige Praxis der Arbeitsagentur untermauere.
Denn es wäre höchstwahrscheinlich möglich, dass der Angeklagte nach seiner Meldung der Arbeitsaufnahme am Empfang der Arbeitsagentur auf Aufforderung noch den Nachweis seiner neuen Aushilfstätigkeit geschickt hätte, welches durch die Bestätigung des Fax in die Unterlagen der Arbeitsagentur aufgenommen worden sein könnte. Die anschließende fehlende Kürzung seiner Bezüge wäre dann ein Fehler der Arbeitsagentur gewesen, welche der Angeklagte aufgrund seiner damaligen psychischen Situation überhaupt nicht bemerkt hatte. Zudem hatte es auch tatsächlich in dem besagten Zeitraum eine gehbehinderte junge Dame am Empfang der Arbeitsagentur gegeben. Da alle diese Umstände für die Unschuld des Angeklagten sprachen, wurde er von der Vorsitzenden H. frei gesprochen.
Dies war nicht der erste Fall, in dem die Angeklagten angaben, dass sie ihre Arbeitsaufnahme am Empfang der Arbeitsagentur gemeldet hätten und dies in den Unterlagen der Arbeitsagentur nicht auftauchte oder dass die Daten der Arbeitsagentur bereits gelöscht worden waren.