Aus dem Bonner Grundgesetz zum Berliner Grundgesetz

Der Berliner Kommentar zum Grundgesetz in neuester Ergänzungslieferung

Michael Stern

Das Grundgesetz, das 1948, 1949 in Bonn entstanden ist und mehr als 40 Jahre lang die Verfassung für Westdeutschland gewesen ist, kann durchaus als „Bonner Grundgesetz“ bezeichnet werden. Mit der Einheit Deutschlands hat sich der räumliche Geltungsbereich entscheidend erweitert und der Mittelpunkt ist auf Berlin gerückt. Damit wird deutlich, dass sich aus dem „Bonner Grundgesetz“ mit der Zeit immer mehr ein „Berliner Grundgesetz“ entwickelt. Daher ist der Name „Berliner Kommentar zum Grundgesetz“ eine Anpassung an heutige Zeiten und bildet schon vom Namen her einen interessanten Gegenentwurf zu bereits seit Jahrzehnten etablierten Grundgesetzkommentaren.
Die Herausgeber sind Karl Heinrich Friauf und Wolfram Höfling. Leider ist Karl Heinrich Friauf am 3. Februar 2016 mit 84 Jahren verstorben. Noch vor dem Vorwort findet sich ein angemessener Nachruf, verfasst von Wolfram Höfling. Es lässt sich zwar nichts Genaueres sagen, aber wahrscheinlich ist aus Pietäts- und Kontinuitätsgründen der Name Friauf/Höfling erfreulicherweise beibehalten worden. Da er wie der Name „Berliner Kommentar“ zum Schlagwort dieses Gesamtwerkes geworden ist, wäre es schön zu sehen, wenn der Namenszug erhalten bleiben könnte – so wie man es auch bei anderen Kommentaren gehandhabt hat.

Die Autorenschaft besteht zum überwiegenden Teil aus Professoren, wobei dort wiederum eine leichte Mehrheit aus der Universität zu Köln stammt. Die Kommentierungen bieten in Teilen eine erfrischend neue und überaus sinnvolle Schwerpunktsetzung. So weisen die Ausführungen Wolfram Höflings zum Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, eine deutlich andere Schwerpunktsetzung auf als sie in den anderen Kommentaren zu finden ist. Man merkt deutlich, dass der Verfasser Mitglied des Deutschen Ethikrates ist. Auf diese Weise können dem Grundrecht viele neue Facetten abgewonnen werden. Wenn es um die Bestimmung des Lebens geht, den Umfang des Schutzgutes, die Hirntodkonzeption oder – darauf aufbauend – die Kritik zur Hirntodkonzeption, so werden sich dazu keine besseren Ausführungen als im Berliner Kommentar finden. Die problematische Frage, ob die Dead-Donor-Rule aufgegeben werden sollte und der Hirntod die Funktion eines Entnahmekriteriums übernehmen soll, hat nicht nur den Deutschen Ethikrat gespalten. Umso wichtiger ist es, diese Frage aus grundrechtlicher Perspektive zu beleuchten, damit gewährleistet ist, dass Juristen bei diesen Problematiken ein wichtiges Wort mitreden und die Debatte nicht nur zum Beispiel Medizinern überlassen wird. In diesem Punkt kann die Arbeit Wolfram Höflings als Pionierarbeit bezeichnet werden.

Über die Jahre konnte sich der Berliner Kommentar gut gegenüber dem Angebot der Grundgesetz-Kommentare behaupten. Dies liegt nicht zuletzt an den höchst qualitativen Ausführungen, die in ihrer Breite und Tiefe viele neue Spezialthemen behandeln, die andere Kommentare allenfalls am Rande streifen. Wer sich zum Beispiel mit etwas abseitigen Grundrechtsproblematiken befassen muss, wird im Berliner Kommentar garantiert fündig. Er kann nur als treuer verfassungsrechtlicher Begleiter bezeichnet werden, als zuverlässige Institution in Verfassungsfragen.
Ein einzelner Wermutstropfen bleibt dennoch: Einige Teile sind derzeit unbesetzt, wie beispielsweise die Freiheit der Person, Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Es bleibt zu hoffen, dass diese Lücken schnell geschlossen werden können. Das wäre diesem hervorragenden Kommentar nur zu wünschen.

Friauf / Höfling
Berliner Kommentar zum Grundgesetz
Loseblattwerk mit 52. Aktualisierung 2016. Rund 7061 S. In 5 Ordnern
ESV ISBN 978-3-503-05911-9
Stand: Dezember 2016
158,00 €

Veröffentlicht von on Nov 30th, 2017 und gespeichert unter BESPRECHUNGEN, LITERATUR. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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