Juristin lehrt das Dichten

Martina Weber gibt eine Anleitung zum „Lyrik schreiben und veröffentlichen“

Thomas Claer

lit-tc-empfiehlt-martina-weber-21ivoqb2bjcl_sl500_aa180_Manche Zeitgenossen, die ausdrücken wollen, dass etwas vielleicht schön formuliert, aber völlig unwichtig und überflüssig ist, dass ihm jede Relevanz für die eigentlich wichtigen Dinge des Lebens, nämlich die geschäftlichen, abgeht, die nennen das Besagte schlicht und ergreifend „Lyrik“. Wenn einer „Lyrik“ redet oder schreibt, dann kommt er nicht zum Punkt und raubt seinen Mitmenschen nur ihre Zeit und Aufmerksamkeit. Und dieser Ausdrucksweise liegt scheinbar ein weit verbreitetes Urteil über die eigentliche Lyrik, also die Dichtkunst, zugrunde. Seit einigen Jahrzehnten schon sind Gedichte, so scheint es, aber so was von verpönt, geradezu ein Anachronismus. Schließlich machen Gedichtbände auch nur einen winzigen Bruchteil der Umsätze an literarischen Büchern aus.

Und doch hat sich in den letzten Jahren, abseits vom Mainstream, etwas entwickelt, das in dem vorliegenden, bereits in zweiter Auflage erschienenen Bändchen der Frankfurter Juristin und Lyrikerin Martina Weber seinen Ausdruck findet: „Viele Menschen haben ein echtes Bedürfnis, literarische Texte zu schreiben, wissen aber nicht, wie sie es anfangen sollen …“, heißt es im Vorwort. An Leser mit solchen Interessen und Ambitionen, die auch die immer zahlreicher werdenden Poetenwerkstätten und Seminare für literarisches Schreiben bevölkern, richtet sich das vorliegende Werk. Es besteht, analog zu seinem Subtitel, aus zwei Teilen: einem ersten, der die Dichtkunst als ein durch gezielte Aufmerksamkeit und Übung erlernbares Handwerk darstellt, und einem zweiten, der aufzeigt, wie und auf welche Weise die Gedichte im Wege der „Veröffentlichung“ den Weg zu den Lesern finden können. Neben der Verfasserin haben noch mehrere andere Autoren, überwiegend ihrerseits Lyriker, einzelne Passagen und Kapitel beigesteuert.

Schon auf den ersten Seiten werden sich all jene bestätigt fühlen, die solcher Ratgeber-Literatur, erst recht einer auf literarisches Schreiben bezogenen, skeptisch gegenüber stehen: „Aus der Offenheit des Lyrikbegriffs folgt, dass man niemandem sagen kann, wie er ein Gedicht zu schreiben hat“, räumt die Autorin ein. Ein Gedicht kann so ziemlich alles und nichts sein, solange es nur aus mindestens zwei Zeilen besteht, erfahren wir. Was also kann eine Anleitung zum Dichten da überhaupt noch leisten? Zunächst zeigt die Autorin auf, was nach ihrer Ansicht gute Lyrik ausmacht und woran man schlechte erkennen kann: Gute Lyrik erzeugt im Leser Gefühle, überrascht den Leser, z.B. durch Zeilensprünge, unerwartete inhaltliche Wendungen, Brüche im Gedankengang und im Rhythmus, ungewöhnliche Bilder und Aussagen, Mehrdeutigkeit, Pointen, Wortspiele, Witz und Humor. Zu vermeiden wären hingegen Klischees, Trivialität und Abstrakta („Drei Orangen sind sinnlicher als Obst.“). Alle diese Punkte, an deren Evidenz wohl kaum jemand zweifeln dürfte, werden in den folgenden Kapiteln noch ausführlich erläutert und mit Beispielen besonders gelungener, manchmal auch missratener Lyrik untermauert. Besonders diese mit Bedacht ausgewählten Zitate machen auch dem interessierten Laien schnell deutlich, ob, wann und warum ein Gedicht etwas taugt. Auf diese Weise präpariert kann der Leser dann eigene Versuche unternehmen. Die durchweg brauchbaren Tipps zur Veröffentlichung der Resultate tun ihr übriges.

Indessen verdichten sich die Anzeichen für eine Lyrik-Renaissance weiter: Nicht nur, dass unsere Schulkinder nach dem Pisa-Schock inzwischen wieder so viele Gedichte einpauken müssen, wie seit 1968 nicht mehr. In der „Wetten, dass…?“-Sendung vom 7.11.2009 präsentierte Popstar Lady Gaga ein riesiges Tattoo mit Versen von Rainer Maria Rilke auf ihrem linken Oberarm. Lyrik ist en vogue, heißt das. Vielleicht wird ja die Lyrik im Zeitalter der neuen Medien – gerade wegen ihrer Kürze und Prägnanz – sogar die literarische Form der Zukunft sein. Allen, die nun selber dichten wollen, ob mit oder ohne Ratgeber, sei noch das rekordverdächtig kurze Gedicht Erich Kästners ans Herz gelegt: Es gibt nichts Gutes / Außer: Man tut es.

Martina Weber
Zwischen Handwerk und Inspiration. Lyrik schreiben und veröffentlichen
2. vollständig überarbeitete Auflage
Uschtrin Verlag München 2008
236 Seiten, EUR 18,90
ISBN 978-3-932522-09-3

Informationen:
http://www.uschtrin.de/weber.html

Veröffentlicht von on Nov 16th, 2009 und gespeichert unter DR. CLAER EMPFIEHLT. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

1 Antwort for “Juristin lehrt das Dichten”

  1. Leopold Löwe sagt:

    Hat Lady Gaga dieses Rilke-Gedicht auch gelesen?

    Doch so hoch wie Rilke muss der angehende Lyriker die Latte nicht hängen, zum Mutmachen das noch kürzere Gedicht von Robert Gernhardt: „..,-/ fertig ist das Mondgedicht“.

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