Nur drei Bundesrichter aus dem Osten

Elitenforschung: Ostdeutsche in Spitzenpositionen extrem unterrepräsentiert

Thomas Claer

Vor einigen Wochen auf einer Veranstaltung zum Thema „100 Jahre Oktoberrevolution“. Interessante Vorträge von Historikern und Politikwissenschaftlern, älteren und jüngeren, Männern und Frauen. Aber niemand von ihnen stammt selbst aus den neuen Bundesländern. Sollten Ostdeutsche also an der wissenschaftlichen Erforschung der eigenen biographischen Hintergründe wenig interessiert sein? Wohl kaum, es muss wohl an der generell schwachen Repräsentanz des Ostens in der Professorenzunft liegen. Und nicht nur dort. Auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen sieht es, so das Ergebnis einer Untersuchung des Soziologie-Professors Raj Kollmorgen von der Hochschule Zittau-Görlitz, hierzulande ähnlich aus: Immerhin ca. 17 Prozent der gesamtdeutschen Bevölkerung wurden in Ostdeutschland geboren, doch nur 2,8 Prozent der Inhaber von Spitzenpositionen in Wirtschaft, Politik und Verwaltung stammen aus dem Osten. Von 190 Vorständen der DAX-Konzerne haben gerade einmal drei eine DDR-/Post-DDR-Vergangenheit. Noch krasser ist das Missverhältnis in der Justiz: Nur ganze drei von 457 Bundesrichtern kommen aus dem Osten, was einer Quote von deutlich unter einem Prozent entspricht. Bei den Generälen der Bundeswehr sind es 0,5 Prozent. Selbst Migranten und Flüchtlinge schneiden kaum schlechter ab als Ostdeutsche.

Wirklich überraschend sind diese Zahlen nicht. Wer etwa eine wissenschaftliche Karriere anvisiert, muss sich schließlich auf dem Weg zur Professur mit einem jahrelang äußerst prekären Status bescheiden: finanziell einerseits und durch die ausgedehnte persönliche Abhängigkeit vom akademischen Förderer andererseits. Und das bei ungewissem Ausgang. Dieses Wagnis nehmen offenbar eher Westdeutsche mit gesichertem wirtschaftlichen Hintergrund in Kauf. Ostdeutsche haben durchschnittlich ein weitaus geringeres Vermögen als Westdeutsche, ihnen fehlt es aber häufig auch an Mut und Risikobereitschaft sowie vor allem an Selbstbewusstsein und Durchsetzungskraft. Das, was der Soziologe Pierre Bourdieu in Frankreich festgestellt hat (popularisiert zum Beispiel durch den Film „Ziemlich beste Freunde“), lässt sich auch auf die Sozialisation im Westen und Osten Deutschlands übertragen: Es bestehen spezifische kulturelle Codes, die sogenannten feinen Unterschiede. Doch während es in Frankreichs Oberschicht nicht zuletzt ein alter elitärer Standesdünkel ist, der alle anderen ausgrenzt, die Kenntnis von klassischer Literatur, Malerei, Musik und guter Küche in Verbindung mit guten Manieren, sind (west-)deutsche Eliten überwiegend Parvenüs, erst in der Nachkriegszeit zu Macht und Reichtum gelangt. Kennzeichnend für sie ist eher eine burschikose Kumpelhaftigkeit unter Ihresgleichen und eine rüpelhafte Schroffheit gegenüber anderen. Wer hingegen das ostdeutsche Erziehungssystem durchlaufen hat, ist vor allem auf Disziplin und Gehorsam konditioniert und kann die bestehenden Defizite an Selbstsicherheit und Ichbewusstsein später zumeist nicht mehr aufholen.

Mehr Informationen: http://www.spiegel.de/video/ostdeutschland-eliten-kommen-aus-dem-westen-video-1823346.html

Veröffentlicht von on Jan 29th, 2018 und gespeichert unter DRUM HERUM, SONSTIGES, UND DANACH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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